Multilokalität von Familie (Schumpeter-Forschungsgruppe)
Die Gestaltung von Familienleben bei räumlicher Trennung
Konzeption - Fortsetzung
Von Bedeutung sind beispielsweise die Entfernung zwischen den verschiedenen Haushalte der Familie, die Möglichkeiten, diese Distanzen zu überwinden, Fragen der Mobilität von Kindern und Erwachsenen, der Gestaltung von Wohnräumen, Praktiken der sozial-räumlichen Verortung sowie der emotionalen Bindung an einen Ort. Die Dimension Raum wirkt in multilokalen Lebenssituationen darüber hinaus als wesentliches, strukturierendes Element der familialen Interaktionsbeziehungen (Stichwort: Handeln in Kopräsenz, Handeln in Situationen der räumlichen Trennung). Erwachsene und ihre Kinder, die multilokal leben, spannen zudem durch ihre Lebenspraxis translokale Sozialräume auf und verweben dabei die Gegebenheiten von mindestens zwei unterschiedlichen Orten kontinuierlich in ihre eigene Biografie. Dies hat zur Folge, dass Prozesse und Handlungen an den verschiedenen Lebensorten nicht mehr rigide getrennt sind, sondern vielfältig aufeinander bezogen und ineinander verschränkt. Es entstehen eigenständige translokale, sozialräumliche Verflechtungszusammenhänge. Gute Anknüpfungspunkte für die Analyse finden sich in neueren Ansätze der handlungstheoretischen Geographie und der Raumsoziologie. Diese fassen Raum als soziale Konstruktion auf und thematisieren die Wechselwirkungen zwischen dem Sozialen und Physisch-materiellen.
Die besondere räumliche Gestalt sowie die Zeitlichkeit von multilokalen Familienarrangements muss konzeptionell und methodisch berücksichtigt werden – dies verspricht einen erheblichen Erkenntnisgewinn, um lebensweltliche Praktiken und Bewertungen dieser Konstellationen zu erfassen. Der Anthropologe George Marcus (1995) plädiert in diesem Sinne für eine multi-sited ethnography: Bei der Untersuchung von viel-örtigen, sich bewegenden Phänomenen soll Feldforschung und teilnehmende Beobachtung auf viele Orte ausgedehnt werden, den Subjekten soll über Raum und Zeit gefolgt und den Verbindungen zwischen Orten nachgangen werden. Wichtig ist demnach nicht nur der Blick auf die ‚Knotenpunkte‘ eines Netzwerkes, sondern auch auf die ‚Linien‘, auf die raum-zeitlichen Verbindungen und auf die Bewegungen dazwischen.
Ausgehend von eigenen Vorarbeiten und in Orientierung an dem Konzept der „multi-sited ethnography“ lassen sich drei typische „raum-zeitliche Momente“ unterscheiden, die den Alltag von multilokalen Familien kennzeichnen. In jedem dieser Momente manifestieren sich – so die Annahme - spezifische der oben angesprochenen räumlichen Dimensionen (siehe auch Methode).
- Moment 1: Die Gestaltung des Alltags an den „Knotenpunkten“ familialer Netzwerke - Wechsel von räumlicher Kopräsenz mit Phasen des Getrennt seins
- Moment 2: Das Unterwegssein und der Raum 'Dazwischen' - Überwindung der räumlichen Distanz zwischen den Lebensorten der multilokalen Familie
- Moment 3: Die Gestaltung des „virtuellen“ Familienlebens - Aufrechterhalten und Herstellen von Familie über Entfernung