weiter


In der Zeitschrift "Brigitte" erschien 1973 eine Reportage über Tagesmütter in Schweden, der für die künftige Entwicklung der Familientagespflege in der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Auswirkungen hatte ("Wir fordern einen neuen Beruf: Tagesmutter"). Die Reportage löste eine engagierte Diskussion aus, in deren Folge sich über 50 Initiativgruppen konstituierten. Diesen Gruppen gelang es, in der Presse, Öffentlichkeit und Politik reges Interesse für ihre Anliegen zu mobilisieren. Die Wirtschaftslage der BRD in den 60er und 70er Jahren brachte es mit sich, dass immer mehr Frauen, vor allem Mütter, berufstätig wurden. Wegen der vielfach schwierigen finanziellen Situation in den Familien und der wachsenden Zahl alleinerziehender Mütter gab es bei der Betreuung der Kinder große Engpässe. Die Zahl der Schlüsselkinder nahm zu.

Es mussten Rahmenbedingungen entwickelt werden, unter denen sich Familie und Berufstätigkeit vereinbaren ließen. 1974 erließ das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) die Rahmenrichtlinien für das Modellprojekt "Tagesmütter", die in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und dem Deutschen Jugendinstitut München (DJI) erstellt worden waren. Noch im selben Jahr begann das Projekt in elf ausgewählten Standorten. Die Durchführung und die wissenschaftliche Begleitung wurden dem DJI übertragen.

Da das Modellprojekt bereits in der Anfangsphase umstritten war, hatte das DJI u.a. den Auftrag, die damals heftig und kontrovers diskutierte Grundsatzfrage zu klären, ob Tagesbetreuung für die Entwicklung von Kindern bis zu drei Jahren sowie für die Entwicklung der Mutter-Kind-Beziehung Nachteile mit sich bringt. Im Abschlussbericht der wissenschaft-lichen Begleitung zum Modellprojekt konnte in dieser umstrittenen Frage ein eindeutiges Ergebnis formuliert werden:

"Die qualifizierte Familientagespflege, wie sie im Modellprojekt realisiert wurde, ist in ihrer Erziehungsleistung für Säuglinge und Kleinkinder der Erziehung durch die eigene Mutter gleichwertig. Sie verdient deshalb verstärkt öffentliche Anerkennung und Unterstützung. Die im Modellprojekt betreuten Kinder zeigten in der sozial-emotionalen Entwicklung (Mutter-Kind-Beziehung, Verhaltensstörungen-Kompetenzen, Kooperation mit Gleichaltrigen, Selbständigkeit) und in der Intelligenzentiwcklung keine Nachteile gegenüber vergleichbaren, von der eigenen Mutter betreuten Kindern. In einem speziellen Bereich erwiesen sie sich sogar als überlegen: Die Tagespflegekinder waren weniger sozial gehemmt und weniger ängstlich." (Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts "Tagesmütter", hg. vom Bundssministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Stuttgart 1980, S. 327 - leider vergriffen).

Diese Schlussfolgerung sowie die im Bericht aufgelisteten Thesen haben bis heute Gültigkeit für die qualifizierte Tagespflege, für den "Tagesmütter Bundesverband für Kinderbetreuung in Tagespflege e.V." und seine angeschlossenen Mitgliedsorganisationen.


Aus dem "Tagesmütter-Handbuch. Kinderbetreuung in Tagespflege", hg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin/Köln 1998 (leider vergriffen)