Kinderbetreuung in Tagespflege
Auf- und Ausbau eines qualifizierten Angebots
Projektbeschreibung: Gutachten Familientagesbetreuung
Von der Tagespflege zur Familientagesbetreuung. Zur Zukunft öffentlich regulierter Kinderbetreuung im PrivathaushaltFörderung: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Laufzeit: 1.1.2004 – 30.6.2004
MitarbeiterInnen: Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Dr. Karin Jurczyk, Lis Keimeleder, Kornelia Schneider, Marianne Schumann, Susanne Stempinski, Karin Weiß, Anne Zehnbauer
Externe Mitarbeit: Prof. Dr. Wolfgang Tietze
Alle Beteiligten fungierten als AutorInnen.
Zusammenfassung
Die Kindertagespflege als eine familiennahe, flexible Form der Betreuung von Kindern vor allem in der Altersstufe unter drei Jahren führte in Deutschland lange Zeit ein Schattendasein zwischen informellen privaten Betreuungsarrangements einerseits und öffentlicher Betreuung in Tageseinrichtungen andererseits. Dies soll sich in Zukunft ändern. Entsprechende gesetzliche Initiativen streben einen nachhaltigen Ausbau der Tagespflege an. Dabei soll das Angebot nicht nur zahlenmäßig erweitert werden, sondern im Interesse des Kindeswohles und der Förderung von Kindern, der Unterstützung von Familien sowie im Interesse eines verbesserten Erwerbsstatus von Tagespflegepersonen zu einer eigenständigen Form öffentlicher Kinderbetreuung werden. Zur Sicherung einer entsprechenden Qualität der Betreuungsform und zur Optimierung ihrer Potentiale soll sie öffentlich organisiert und reguliert werden. Dieser Anspruch erfordert eine Neugestaltung des Systems der Tagespflege. Nur so kann sie, wie angestrebt, als Familientagesbetreuung derzeit für Kinder zu einer der in Einrichtungen geleisteten Förderung gleichwertigen Form öffentlicher Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern werden.
Ausgangssituation
Die Ausgangslage für den Ausbau außerfamilialer und familienergänzender Kleinkindbetreuung – ein verändertes Verständnis von Kinderbetreuung als nicht mehr ausschließliche Aufgabe von Müttern sowie die Rezeption des Wissens über die Bildungsvorgänge in der frühen Kindheit – und damit auch die Chancen für eine Weiterentwicklung der Kindertagespflege haben sich deutlich geändert. Steigende Erwerbstätigkeit von Frauen, flexibilisierte Erwerbsarbeit, sinkende Kinderzahlen erzeugen zusätzlich Druck in Richtung auf den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung – bei gleichzeitig knappen öffentlichen Kassen. Die erheblichen Betreuungslücken müssen gegenwärtig durch einen aufwändigen Betreuungsmix in privater Verantwortung der Eltern gelöst werden, der für alle Beteiligten und nicht zuletzt für die Kinder als wenig förderlich anzusehen ist. Vor diesem Hintergrund wird die Kindertagespflege als eigenständiges Betreuungsangebot innerhalb des Privathaushalts mit spezifischem Profil geschätzt. Bisher verblieb die Tagespflege jedoch überwiegend in einem Zwischenbereich von Privatheit, Selbsthilfeinitiative, Jugendamt und Markt. Tagespflege umfasst deshalb verschiedene Organisationsvarianten mit fließenden Übergängen zwischen weitgehend informeller bis zu öffentlich vermittelter, regulierter und finanzierter Betreuung. Im Verlauf der 30-jährigen Entwicklung der Tagespflege in Deutschland wurde ihr zwischen Mütterlichkeit und Fachlichkeit schwankendes Profil, die nicht durchgängige pädagogische Qualität, die fehlende Verlässlichkeit und der schlechte Arbeitsstatus der Tagespflegepersonen immer wieder problematisiert.
Zielsetzung
In naher Zukunft sollen die Stärken der familiennahen und flexiblen Betreuungsform Tagespflege vermehrt genutzt und zugleich die bisherigen Schwächen korrigiert werden. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab deshalb ein Gutachten in Auftrag, um zeitnah fachliche Expertise für den quantitativen und qualitativen Ausbau einzuholen. Bei der Erstellung des Gutachtens war die öffentliche Verantwortung für die Kinderbetreuung in Tagespflege der Leitgrundsatz für die Vorschläge zu ihrer Neugestaltung. Aus der Kontextanalyse heraus wurde den Aspekten der Fach-, der Sach-, der Bedarfs- und der Arbeitsmarktgerechtigkeit Rechnung getragen. Ziel war es auf dieser Basis konkrete Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Tagespflege zu geben.
Konzeption und Methode
Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschafts- und arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen und Debatten wurden in Form eines Gutachtens zur zukunftsorientierten Entwicklung der Tagespflege notwendige Verbesserungsmöglichkeiten erarbeitet. Das Gutachen entstand in Gesamtverantwortung von Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, und Prof. Dr. Wolfgang Tietze, FU Berlin, Arbeitsbereich Kleinkindpädagogik; die Leitung übernahm Dr. Karin Jurczyk, Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik am DJI. Bei der Erstellung des Gutachtens wurden die bisherigen Ergebnisse des DJI-Forschungsprojektes „Kinderbetreuung in Tagespflege. Auf- und Ausbau eines qualifizierten Angebots“ im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einbezogen. Zusätzliche Fachkompetenz wurde über externe Expertisen sowie über MitarbeiterInnen der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung des DJI eingeholt. Das Spektrum der bearbeiteten Themen reicht von Formen der Tagespflege und ihrer Rahmung durch das Kinder- und Jugendhilferecht, über Angebot und Nutzung von Tagespflege, Bildung und Erziehung als Aufgabe der Tagespflege, Qualität in der Tagespflege, Möglichkeiten und Grenzen der Internetnutzung, Kooperationspotentiale mit Tageseinrichtungen bis zu Arbeitsstatus und sozialer Absicherung von Tagespflegepersonen, Einsatz neuer arbeitsmarktpolitischer Instrumente, Kosten und Finanzierung der Tagespflege. Zu allen diesen Aspekten wurden Empfehlungen für die zukunftsorientierte Gestaltung der Tagespflege formuliert.
Ergebnisse
Wenn die Tagespflege zu einer fachlich ernsthaften und für Eltern verlässlichen Alternative zu institutionellen Kinderbetreuungsangeboten und dabei perspektivisch auch qualitativ gleichwertig werden soll, muss sie mit Blick auf ihre Mängel nachhaltig verbessert werden. Gegenwärtig haftet der Tagespflege vielfach der Makel fehlender Transparenz, mangelnder Fachlichkeit, unzulänglicher Qualität, geringer Stabilität und inakzeptabler Honorierung der Tagespflegepersonen an. Die Tagespflege variiert derzeit zwischen diffusen Angeboten von „Schlichtbetreuung“ auf dem freien Markt und einem beeindruckenden Engagement in Modellen guter Praxis, die jedoch als „Leuchttürme“ aus der ansonsten weitgehend ungeregelten Tagespflege-Szene herausragen. Wenn in Zukunft ein ausgebautes System einer „Familientagesbetreuung“ als verlässlicher Baustein im Rahmen des öffentlichen Kindertagesbetreuungsangebots entstehen soll, dann muss sie flächendeckend an fachlicher Kontur, an personeller Kontinuität und an organisatorischem Profil gewinnen. Das heißt, das Nachfrage- und Angebotssystem muss flächendeckend verbessert werden. Im Bereich des Nachfragesystems gehört dazu z.B., dass Eltern die Möglichkeit erhalten, vor Anbahnung und während des Betreuungsverhältnisses beraten zu werden und zuverlässige Informationen über die Qualität der Tagespflegestelle zu bekommen. Um das Angebotssystem zu verbessern, müssen die Arbeitsbedingungen für Tagespflegepersonen auf ein der Leistung besser angepasstes Niveau gehoben werden. Zudem müssen die Tagespflegepersonen eingebunden werden in ein integriertes System fachlicher Begleitung mit den Modulen Eignungsüberprüfung, Qualifizierung, Fachvermittlung, Fachberatung, Praxisbegleitung und Vernetzung, Qualitätsfeststellung (Gütesiegel) und der Möglichkeit zur Verbesserung der Qualität. Die Verantwortung für die Organisation dieser Schritte liegt ordnungspolitisch bei den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Auch auf überregionaler Ebene sind Steuerungsmaßnahmen notwendig, wie zum Beispiel die Definition verbindlicher Standards.
Um das Ziel einer qualitativ angemessenen Kindertagespflege innerhalb eines Zielhorizonts von 5 – 10 Jahren zu erreichen, muss ein Systemwechsel stattfinden. Hierzu muss auch das Wissen über die Tagespflege systematisch verbessert werden. Das bedeutet, es müssen nicht nur regelmäßige Berichtsdaten über Ausmaß und Entwicklung der Tagespflege erhoben werden, sondern auch die Möglichkeiten einer verbesserten Organisation und geeigneter Beschäftigungsverhältnisse untersucht und erprobt werden.