Konzeption und Methode

Das System Familie bildet den Rahmen für das Projekt zur Erforschung von Integrationsprozessen. Da für die weitaus meisten Aussiedler Migration in der Konstellation des Familienverbandes erfolgt und in diesem Rahmen Integration beginnt, wird einerseits nach der Bedeutung von Familie für den Integrationsverlauf der einzelnen Familienmitglieder gefragt, sowohl im Sinne einer Förderung als auch einer möglichen Behinderung, andererseits nach den Auswirkungen von Migration auf Familie. Es wird davon ausgegangen, daß der Integrationsverlauf bei den einzelnen Familienmitgliedern je nach Altersgruppe, Geschlecht, Stellung in der Familie, den individuell und der Familie zur Verfügung stehenden Ressourcen sehr unterschiedlich sein kann. Diese Unterschiede sind relevant bei der Bewältigung der Probleme und der Integrationsaufgaben insgesamt. Unterschiedliche Integrationsverläufe der Familienmitglieder im Hinblick auf Tempo und Reichweite können wiederum zu migrationsbedingten Diskrepanzen - im Unterschied v.a. zu entwicklungsbedingten bei Kindern und Jugendlichen - und zu schwerwiegenden Belastungen und Problemen zwischen Eltern und Kindern in dieser Phase der Migration führen, die die Unterstützung der Familie für ihre Mitglieder bei der Integration schwächen und damit wiederum die Integration von Familie und Familienmitgliedern erschweren oder gefährden können. Eine Kumulation solcher Belastungen kann die Familienbeziehungen beeinträchtigen bzw. letztlich auch den Familienzusammenhalt infrage stellen. Im Rahmen einer familienzentrierten Perspektive bei der Erforschung von Integrationsprozessen stehen also auch Auswirkungen bzw. Rückwirkungen unterschiedlicher Integrationsverläufe von Familienmitgliedern auf das System Familie selbst, auf die Familienbeziehungen, auf Macht und Autorität in der Familie, auf den Familienzusammenhalt im Blickfeld der Forschungsfragen des Projekts. Methodisch spielt der Mix von empirischen Forschungsinstrumenten eine zentrale Rolle, insbesondere sind hier die Instrumente von Bedeutung, die wiederholt eingesetzt werden, wie etwa die fünfmal vorgelegten, jeweils unterschiedlichen Gruppierungen zahlreicher Items aus unterschiedlichen Lebensbereichen der Aussiedler/innen, die ebenso oft vorgelegten Gruppen („Batterien“) von Items bzw. Fragen sowie das (standardisierte) „Tagebuch“, das in einem täglichen Bogen (1 Seite) fragte, ob bestimmte, vorgegebene „Ereignisse“ (standardisiertes "Tagebuch“) am jeweiligen Tage eingetreten seien. Damit sollten „Ereignisse“ zeitnah erfaßt werden, d.h. dass sie weniger der Verzerrung durch die Erinnerung unterliegen (wenn sich etwa Fragen oder Vorgaben auf weiter in der Vergangenheit zurückliegende Ereignisse, Erlebnisse, Befinden u.ä. beziehen). Da "Ereignisse" festgehalten werden sollen, wird auch die Möglichkeit der Interpretation aus einer subjektiven Perspektive eingeschränkt. Es sollte – unter methodischen Gesichtspunkten - auch geprüft werden, inwieweit es die angewandten Instrumente, v.a. das in den Sozialwissenschaften kaum eingesetzte „Tagebuch“ erlauben, Integrations-„Verläufe“ beobachten zu können und damit eine Art Kontinuum, dessen zeitliche Strecken zwischen den bisher meist dominierenden einzelnen Querschnittserhebungen bzw. wiederholten Meßzeitpunkten relativ im Dunkeln geblieben sind. Geeignete Integrationshilfen sollen auf dieser Grundlage möglichst frühzeitig entwickelt, den Erfordernissen angepasst und eingesetzt werden. Auf der Basis des vorhandenen zeitnahen Wissens kann ggf. auch in der aktuellen Situation adäquat interveniert werden. Generell ist von Interesse, inwiefern sich Indikatoren einer „gelingenden“ bzw. „misslingenden“ Integration im Familienzusammenhang identifizieren lassen. Die Erkennung von Veränderungsprozessen soll v.a. im Rahmen einer umfassenderen und längerfristigeren Erforschung von Integrationsprozessen zu einer projektbegleitenden Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis führen und damit einen anhaltenden Austausch zwischen DJI und der Praxis, die Aussiedlerfamilien berät und begleitet, ermöglichen.

Vorgehen
Um die relativ zahlreichen bzw. täglichen Erhebungen mit verschiedenen Instrumenten (s.o.) insgesamt erfolgreich durchführen zu können, benötigten wir eine Betreuung der Probanden vor Ort. Es war sehr wichtig, auch durch die geringere Zahl von Teilnehmer/innen in einem Pilotprojekt bedingt, die Daten zuverlässig zu erheben und die Sampemortalität möglichst stark eingegrenzen. An drei unterschiedlichen Erhebungsorten in West- und Ostdeutschland wurden über Jugendgemeinschaftswerke Betreuerinnen aus der Gruppe der Aussiedler gefunden, die nach Vorgabe des Projekts 1998/1999 eingereiste Aussiedlerfamilien – die noch in Übergangswohnheimen lebten - auswählten bzw. vorschlugen. An einem Untersuchungsort wurde dies von einer Streetworkerin für junge Aussiedler/innen vorgenommen. Die Betreuerinnen vor Ort hatten während der gesamten Erhebungsphase die Aufgabe, neben der Hilfe bei (anfänglich teilweise) auftretenden Problemen bei der Bearbeitung der Tagebuch-Bögen wöchentlich die bereits ausgefüllten 7 Tagebuch-Bögen bei den Familien abzuholen und für jedes Familienmitglied ab 12 Jahren 7 neue Bögen für die folgende Woche zu überreichen. So wurde während der gesamten Dauer der empirischen Erhebung von 25 Wochen verfahren. Auf diese Weise wurde versucht, eine konstante, verlässliche und qualitativ gute Bearbeitung der Tagebuch-Bögen zu erreichen, was sich bei zahlreichen Stichproben weitgehend bestätigte. Zusammen mit den Tagebuch-Bögen wurden im wöchentlichen Abstand fünf verschiedene Sätze von Items (die sich also alle 5 Wochen wiederholten) zu Aspekten aus den verschiedensten Lebensbereichen sowie Items-„Batterien“ zu einigen Themenbereichen (wie z.B. Entscheidungen/Autorität in der Familie; Verhalten in der Öffentlichkeit) an insgesamt fünf Messzeitpunkten vorgelegt sowie eine Fragebogenerhebung gegen Ende des Erhebungszeitraumes durchgeführt. Auf diese Weise wurde über eine Zeitspanne von 6 Monaten ein weitestgehend vollständiger Datensatz von Item- und Tagebuch-Bögen für insgesamt 76 Personen in 26 Familien aufgebaut (außer einem Abbruch wegen schwerer Erkrankung trat keine Samplemortalität auf). Die Daten, die mit Items, Items-Batterien und Fragebogen erhoben wurden, sind bereits ausgewertet (2000). Die vorliegenden sehr zahlreichen Tagebuch-Bögen werden noch einer Gesamtauswertung aller Tagebuch-Bögen sowie einer abschließenden Auswertung unterzogen, die die Daten aller empirischen Teile bzw. Datenebenen aufeinander bezieht. Im Rahmen der ereignisbezogenen (Tagebuch-) Daten sollen im wesentlichen Indices gebildet werden, die Aussagen über Veränderungen bzw. ausbleibende Veränderungen in den jeweiligen, als integrationsrelevant eingeschätzten Feldern für die Familien, die jeweiligen Familienmitglieder sowie verschiedene Gruppen (generations-/alters-/geschlechtsspezifisch) in bestimmten Zeiträumen möglich machen. Dazu ist es nötig, geeignete, möglichst aussagekräftige Kombinationen von inhaltlichen Bereichen der Integrationsprozesse (wie z.B. Kontakte zu einheimischen Deutschen, zu Verwandten und Freunden im Herkunftsland sowie zu Aussiedlern am Ort; Erwerb der deutschen Sprache) als auch sinnvolle zeitliche Strukturierungen zu bilden und mögliche Widersprüche zwischen den einzelnen Datenebenen zu klären.

Kontakt

+49 89 62306-255
Deutsches Jugendinstitut
Nockherstr. 2
81541 München

Gefördert / finanziert durch

Volkswagenstiftung

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