Integrationsprozess bei Aussiedlerfamilien
Entwicklungen bei Aussiedlerfamilien aus Staaten der ehemaligen UdSSR in der ersten Zeit nach der Einreise. Zum Verlauf des Integrationsprozesses
Ausgangssituation
Mit der politischen Liberalisierung in der früheren UdSSR in der 2. Hälfte der 80er Jahre sowie dem politischen Wandel in wichtigen Staaten Mittel- und Osteuropas begann die Zahl der AussiedlerInnen aus diesen Staaten erheblich zu steigen. Den Höhepunkt erreichte die Zuwanderung der ganz überwiegend in einer Familienkonstellation einreisenden AussiedlerInnen mit fast 400.000 im Jahr 1990. Danach fiel die Immigrantenzahl – v.a. administrativ bedingt – bis 1996 auf etwas mehr als die Hälfte der Rekordzahlen von 1990.Die Gruppe der Zuwandernden hat sich seit der ersten Hälfte der 90er Jahre stark verändert: Betrug der Anteil der Aussiedler aus den Staaten der ehemaligen UdSSR 1990 gut 37%, so hat er sich inzwischen auf ca. 99% (2000) erhöht und verharrt seither in dieser Größenordnung. Die meisten jungen Zuwanderer und auch häufig deren Eltern sprechen im Unterschied zu den noch in den 80er Jahren zuwandernden AussiedlerInnen aus der früheren Sowjetunion nicht oder kaum deutsch. Die jungen AussiedlerInnen waren bzw. sind im Unterschied zur Großelterngeneration kulturell und gesellschaftlich überwiegend in ihren Herkunftsländern (v.a. Rußland und Kasachstan) verankert. Diese Veränderungen des Herkunftshintergrunds und auch der Bedingungen im Aufnahmeland (s.u.) bedeuten einen erhöhten Aufwand für Integrationshilfen und eine verlängerte Zeit für Beratung und Begleitung beim Einleben in die neue Gesellschaft. Daß trotz eines deutlichen Rückgangs der Zuzugszahlen ab 1996 die Zahl der von den Jugendgemeinschaftswerken (JGW) Betreuten weitgehend stabil blieb, weist deutlich auf diese Situation hin.
Im scharfen Kontrast dazu wurden seit 1993 die Mittel für Integration (z.B. für die Arbeit der JGW) aber z.T. erheblich reduziert: Die Gesamtaufwendungen für alle integrationsbezogenen Titel sind zwischen 1993 und 1997 von 5,4 Milliarden DM auf 3 Milliarden DM gesunken, was z.B. die Beratungs- und Betreuungstätigkeit der JGW erheblich erschwerte, die nur einen kleinen Teil dieser Aufwendungen benötigten (so wurden z.B. die Mittel für Sprachkurse für junge AussiedlerInnen von 486 Mio. DM in 1990 auf 180 Mio. DM im Jahr 1998 gekürzt). Insbesondere wurde ab 1993 das Prinzip einer bundesweit flächendeckenden Versorgung mit JGW aufgegeben.
Die seit Jahren angespannte Arbeitsmarktlage wirkt(e) sich auch auf die Beschäftigungssituation v.a. der ab der 2. Hälfte der 90er Jahre zuwandernden AussiedlerInnen aus. Fehlende bzw. geringe Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikationen aus dem Herkunftsland, die häufig nicht auf die Anforderungen in Deutschland übertragbar waren bzw. sind oder hier nicht anerkannt wurden bzw. werden, führen zu weiter verschlechterten Arbeitsmarktchancen und drängen arbeitssuchende Zuwanderer oft auf unterqualifizierte Positionen ab.
Die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung gegenüber Aussiedlern hat in den 90er Jahren deutlich abgenommen: Die Konkurrenz auf dem Arbeits- und auch häufig auf dem Wohnungsmarkt, räumliche Konzentration bis hin zu ghettoähnliche Strukturen an bestimmten Orten, mangelhafte Verständigungsmöglichkeiten und kulturelle Verschiedenheit (z.B. als „fremd“ wahrgenommenes Verhalten von Gruppen junger männlicher Aussiedler in der Öffentlichkeit in Gebieten mit hoher Aussiedlerkonzentration) tragen zu vermehrter Distanz und Ablehnung bei. Das Deutsche Jugendinstitut führte Mitte der 90er Jahre bei den JGW eine Untersuchung zur Integrationssituation der jungen Aussiedler/innen aus der Sicht der JGW durch. Die Integrationssituation, so die JGW, sei erheblich schwieriger als Ende der 80er Jahre und demzufolge vielfach als gefährdet anzusehen. Die JGW befürchteten bereits zu diesem Zeitpunkt, daß sich mittelfristig eine neue, z.T. sozial deklassierte Minderheit mit schwerwiegenden individuellen und sozialen Folgen herausbilden könnte.