Bildungsprozesse zwischen Familie und Ganztagsschule
Eine familienwissenschaftliche Explorativstudie
Ergebnisse
- Ganztagsschule kann mit einer Verdopplung von Freizeitangeboten einhergehen, so dass zunehmend Kompetenzen notwendig werden, die schulische und außerschulische Freizeit zu vereinbaren. Vereinbarkeit gelingt, wenn die schulische Freizeit mit den außerschulischen Freizeitaktivitäten und Peer-Aktivitäten kompatibel ist. Sie gelingt nicht, wenn die schulische Freizeit lediglich als regenerative Zeit angesehen und es zur einer Trennung des Freundeskreises kommt. Dies wird als Stress erlebt.
- Ferner hat es sich gezeigt, dass bei der Betrachtung des Verhältnisses Ganztagsschule und Familie die besondere Situation von Jugendlichen als einer besonderen Entwicklungs- und Sozialisationsphase in Rechnung zu stellen ist. So tendiert die Elternbeteiligung unter den Bedingungen der von uns in den Blick genommenen Ganztagsschulen nur in einzelnen Fällen zu einer gemeinsamen Erziehungs- und Bildungsverantwortung. Damit dieses Konzept in der Praxis auch greift, bedarf es der Beteiligung von Jugendlichen.
- Herausarbeiten konnten wir auch, dass im Gegensatz zum familiären Kontext im Ganztagsschulkontext Synergieeffekte zwischen non-formalem und formalem Bereich bzw. Freizeit und Unterricht auftreten können und sich dies auch über den Einzelfall hinaus in den Bildungserfahrungen der Jugendlichen dokumentiert. Von einer systematischen Verschränkung von informellen und formellen Bildungsprozessen kann jedoch nicht die Rede sein. Es bedarf daher gesonderten Anstrengungen, diese beiden Lern- und Bildungssettings gezielter zu vernetzen.
- Ein Befund der Online-Tagebücher ist, dass das Familienleben im Wesentlichen wochentags durch die Arbeitszeiten der Eltern und die Vereinsaktivitäten der Jugendlichen bestimmt wird. Die Ganztagsschule trägt damit zwar zur (zeitlichen) Entlastung der Familienbeziehungen bei (i.S. verlängerter Betreuungszeiten), sie führt aber auch dazu, dass der direkte Einfluss der Familie auf formelle Bildungsprozesse weiter abnimmt. Diese Entwicklung entspricht einem Wandel der Familie von einem Ort der Versorgung zu einem Ort der Regeneration. Damit steigt ihre Bedeutung als Kontext für informelle Bildungsprozesse, indem sie die Rahmenbedingungen für die Freizeit außerhalb von Schule und Verein setzt. Gerade das Wochenende wird dann zu einer wichtigen Zeit für gemeinsame Aktivitäten, die jedoch mit der altersbedingten Zunahme der Peer-Kontakte in Einklang gebracht werden muss. Elternberatung in Ganztagsschulen ist demnach gefragt, diese veränderten Lernkonfigurationen zu beachten.
Weitere Informationen:
Erste Ergebnisse wurden auf der Tagung "Familie und Ganztagsschule - Akteure, Praktiken und politische Konsequenzen" präsentiert. Diese fand am 6. und 7. Mai am Deutschen Jugendinstitut statt und wurde in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung organisiert. Weitere Informationen zur Tagung finden Sie auf den Seiten des BMBF.
Der Tagungsband ist erschienen: Soremski, Regina; Urban, Michael; Lange, Andreas (Hrsg.):
Familie, Peers und Ganztagsschule. In: Holtappels, Heinz Günter; Klieme, Eckhard; Rauschenbach, Thomas (Hrsg.): Studien zur ganztägigen Bildung. Weinheim und München: Juventa Verlag 2011.
Der vollständige Abschlussbericht steht zum Download bereit.
Zum Thema Familie und Ganztagsschule im Kontext bildungs- und sozialpolitischer Fragen siehe auch das Interview mit Prof. Dr. Andreas Lange unter www.ganztagsschulen.org