Arbeits- und Forschungsstelle Demokratieförderung und Extremismusprävention
Studie zur Bearbeitung lokaler Konflikte um Migration und Religion (BloK)
(abgeschlossen)
Anprechpartnerin: Sally Hohnstein
Der Arbeitsschwerpunkt „Bearbeitung lokaler Konflikte um Migration und Religion“ (BloK) wurde bereits in der vorangegangenen Förderphase der AFS als zukunftsweisender Schwerpunkt initiiert und hat seitdem nichts an Relevanz verloren. Nach wie vor diagnostizieren Studien aus der Einstellungsforschung Polarisierungen und Abschottungen gesellschaftlicher Milieus, ein weiteres Erstarken rechtspopulistischer, fremden- und islamfeindlicher Haltungen insbesondere in der „gesellschaftlichen Mitte“ sowie eine zunehmende Konflikthaftigkeit und Verrohrung im gesellschaftlichen Zusammenleben – allesamt Phänomene, die 2016 Ausgangspunkt einer Beschäftigung der AFS mit dem Thema „Bearbeitung lokaler Konflikte um Migration und Religion“ waren. Das Arbeitsthema reagiert auf die in den letzten Jahren zunehmend beobachtbaren gesamtgesellschaftlichen Polarisierungen im Zusammenhang mit Migration und Religion. Diese Entwicklung schlägt sich unter anderem in sozialräumlichen Konfliktkonstellationen und z.T. massiven Konflikteskalationen nieder, die auch deutschlandweit mediale und damit auch breite gesellschaftliche Beachtung finden. Solche Konflikte können sich auf unterschiedlichsten Ebenen in diversen Konstellationen manifestieren: Zum einen sind hier klassische Konfliktlagen zwischen Etablierten- und Außenseitergruppen zu beobachten, in denen sowohl ethnozentrische Vorurteile bis hin zu fremdenfeindlichen und rechtsextremen Haltungen, als auch Unsicherheiten im Umgang mit real beobachtbaren unterschiedlichen Verhaltensweisen – auch wechselseitig – eine Rolle spielen können. Zum anderen finden sich Konfliktkonstellationen innerhalb von Etabliertengruppen, z.B. Konfrontationen zwischen Asylgegnern und -befürwortern. Für die präventive Praxis stellen solche Entwicklungen eine besondere Herausforderung dar. Sie muss hier Wege finden, um latenten Konfliktlagen präventiv entgegenzuwirken bzw. bei eskalierten Konflikten zu intervenieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es bedeutsam, bisherige Ansätze der Bearbeitung von nachbarschaftlichen Konflikten um Migration und Religion und damit gewonnene Erfahrungen zu identifizieren, zu erheben und zu systematisieren. Die Leitfrage ist, welche Wege Praxis aktuell findet, um den beschriebenen Konfliktkonstellationen entgegenzuwirken. Mit welchen Ansätzen wird aktuell versucht, derartige Konflikte zu bearbeiten und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf lokaler Ebene zu fördern? Welche Erfahrungen wurden hierbei gewonnen? Was trägt zum Gelingen von Konfliktbearbeitungen bei und wo zeigen sich Hürden in der Arbeit?
Diesen Fragen wird einer der Grounded Theory und damit einem zyklischen Prozess aus Feldgängen, leitfadengestützten Interviews und Auswertungsschritten folgenden, qualitativen Studie explorativ nachgegangen. Untersucht werden Angebote, die sich der Bearbeitung von Konflikten um Migration und Religion widmen und vom theoretischen Selbstverständnis her einen alle relevanten Konfliktakteure berücksichtigenden Ansatz verfolgen. Die Zusammensetzung des Untersuchungssamples erfolgt theoriegeleitet und kontrastierend. Zur Datenerhebung werden halbstrukturierte, leitfadengestützte Interviews mit Fachkräften aus verschiedenen pädagogischen (sowie kontrastierend auch ordnungs- und sicherheitspolitischen) Handlungsfeldern geführt. Die Daten werden im Kodierverfahren der Grounded Theory komparativ und einzelfallbezogen analysiert, der gesamte Arbeitsprozess wird von Memos mit Thesen, Forschungsnotizen, Fragen etc. begleitet.
Die (sozial-)pädagogische Bearbeitung lokaler Konflikte in der Migrationsgesellschaft ist eine multimodale Praxis. In den Blick genommen wurden Manifestationen und Problemdimensionen von Konflikten und Konflikteskalationen. Auch Motive verschiedener Akteure, Ursachen, Kontexte und Bedingungen von Konflikten wurden analysiert. Herausgearbeitet wurden drei Handlungsmodi der Arbeit von Fachkräften, die lokale Konflikte bearbeiteten:
- Im dialogischen Handlungsmodus steht die kommunikative Verhandlung unterschiedlicher Interessen und Ziele der jeweiligen Konfliktgruppen im Vordergrund. Sie werden miteinander ins Gespräch gebracht, um gegenseitiges Verstehen und Verständigung herbeizuführen. Dies erfolgt sowohl in Bürgerversammlungen, als auch in Werkstätten und Gruppengesprächen sowie Mediationsformaten.
- Im konfliktkompetenzfördernden Handlungsmodus werden die Kompetenzen unterschiedlicher konfliktrelevanter Gruppen adressiert. Im Fokus steht die Erweiterung von individuellen Konfliktkompetenzen, sowohl bei den Konfliktgruppen, als auch bei Fachkräften, die im professionellen Alltag Konflikten begegnen.
- Im konfliktthemenbezogenen Handlungsmodus werden die unterschiedlichen Problemdimensionen von Konflikten bearbeitet. In migrationsbezogenen Konflikten sind dies zunächst Fragen rund um die Integration neuzugewanderter Menschen in der Kommune oder das Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft generell. Aber auch dahinterliegende Konfliktdimensionen wie lokale und überregionale Migrationsdiskurse oder rassistische Vorurteile und Mobilisierungen gegen Zugewanderte werden thematisiert. Ebenso werden tieferliegende sozioökonomische, politische oder generationale Konfliktlinien werden erkannt und thematisiert.
Deutlich wurde, dass Konfliktlagen durch die Akteure vor allem entlang der Kategorie Migration ethnisierend ausgedeutet und eingeordnet werden. Entsprechend relevant sind in der Bearbeitung dieser Konflikte Aktivitäten, die insbesondere Menschen mit rassistischen Vorurteilen und Fremdenängsten in der Ankunftsgesellschaft adressieren. Im Moment erfolgt dies vor allem mittels situativer Interventionen und nur selten systematisch, z. B. mittels begegnungspädagogischer Aktivitäten. Die Bearbeitung dieser Konfliktdimension zeigt sich daher noch ausbaufähig.
Zugehörige Veröffentlichungen:
Hohnstein, Sally (2022): Lokale Konfliktbearbeitung in der Einwanderungsgesellschaft: multimodale (sozial-)pädagogische Praxis in einem komplexen Arbeitsfeld. In: Hohnstein, Sally/Langner, Joachim/Zschach, Maren (Hrsg.): Lokale Konflikte in der Migrationsgesellschaft. Konflikterscheinungen und Konfliktbearbeitung. Reihe: Schriftenreihe der Arbeits- und Forschungsstelle Demokratieförderung und Extremismusprävention. Band 15. München/Halle (Saale): Deutsches Jugendinstitut, S. 96-119. PDfile: Download
Hohnstein, Sally/Langner, Joachim/Zschach, Maren (2022): Konflikte in der Migrationsgesellschaft – Konflikterscheinungen und Konfliktbearbeitung. In: Hohnstein, Sally/Langner, Joachim/Zschach, Maren (Hrsg.): Lokale Konflikte in der Migrationsgesellschaft. Konflikterscheinungen und Konfliktbearbeitung. Reihe: Schriftenreihe der Arbeits- und Forschungsstelle Demokratieförderung und Extremismusprävention. Band 15. München/Halle (Saale): Deutsches Jugendinstitut, S. 7-27. PDfile: Download