Projekt "Apps für Kinder" - Praxisbericht "Stop Motion Studio"
Kurzbeschreibung der App
Stop-Motion-Filme entstehen, wenn man Figuren, Stofftiere oder Gegenstände in kleinen Schritten bewegt und jede Veränderung fotografiert. Werden die Einzelbilder schnell hintereinander wiedergegeben, entstehen aus den kleinen Veränderungen flüssige Bewegungen: Der Zuschauer hat den Eindruck, Figuren erwachen zum Leben oder Gegenstände bewegen sich wie von Zauberhand. Mit der App „Stop Motion Studio“ können mit der eingebauten Kamera eines Tablets oder Smartphones Fotofolgen geknipst und jederzeit direkt als Film angeschaut werden. Durch das Einfügen von Geräuschen, Musik und auch eigenen Tonaufnahmen lassen sich die Videos vertonen und mit Dialogen versehen. Vielfältige Effekte, Einstellungsmöglichkeiten und Titelgeneratoren komplettieren die Funktionen und ermöglichen die Produktion eines vollständigen Stop-Motion-Trickfilms innerhalb der App.
Eine ausführliche Beschreibung und Bewertung findet sich unter:
Rahmenbedingungen
Der Praxistest wurde in einem Familienzentrum in der Nähe von Frankfurt am Main durchgeführt. Die Einrichtung besuchen Kinder aus Familien mit vielfältigem Herkunftskontext. Kinder wie Eltern besitzen häufig kaum oder keine Deutschkenntnisse. Das Team setzt sich aus zahlreichen mehrsprachigen Erzieher/innen zusammen. Die Einrichtung nimmt am Bundesprogramm "Sprach-Kitas" teil.
In zehn Gruppen werden ca. 200 Kinder betreut. In den meisten befinden sich Kinder von 3 - 10 Jahren, wobei die Hortkinder gegen Mittag in die Einrichtung kommen und sich in den vorhandenen Funktionsräumen häufig mit Gleichaltrigen beschäftigen. Zwei Gruppen werden von Kindern im Alter von 1 - 6 Jahren besucht.
Vorbereitung
Nach einem Fortbildungstag, an dem zwei der Erzieherinnen die App kennenlernen und ausprobieren konnten, wurde am Folgetag mit zwei Vorschulkindern der Praxistest durchgeführt. Die Kinder wurden vorab über das Vorhaben informiert. Positiv überraschte die Erzieherinnen, dass die beiden am "Drehtag" verlässlich daran dachten, eigene Spielfiguren mitzubringen. Die Lust auf das Trickfilmen motivierte die Kinder, diese Aufgabe nicht zu vergessen. Die Erzieherinnen entschlossen sich, jeweils einzeln mit einem der Vorschulkinder die App auszuprobieren.
Durchführung
Statt zu erklären, was Stop-Motion ist, wurde mit einer eigenen kleinen Animation das Prinzip vermittelt. Es wurden etwa ein Dutzend Bilder geknipst, bei denen ein Gegenstand jeweils ein kleines Stück bewegt wurde. So erschloss ich innerhalb kürzester Zeit das Grundprinzip: Aus Einzelbildern entsteht eine Bewegung. Nun ging es darum, eine eigene kleine Geschichte umzusetzen. Die sechsjährige R. wollte Figuren und Umgebung zeichnen. In ihrem Film sollte es regnen, ein Regenbogen sollte aufgehen. Da die gezeichneten Figuren und Gegenstände flach (zweidimensional) sind, wird bei diesem Legetrick die Szene von oben fotografiert. Im Prozess kamen schnell Fragen auf: Warum sind meine Hände im Film nicht zu sehen, obwohl ich immer wieder ins Bild greife? Welche Farben haben Wolken vor und nach einem Gewitter? Wie kommt der Blitz mitten in den Film, obwohl wir die Idee erst ganz am Ende hatten und nachträglich fotografiert haben? Erzieherin Albina griff die Fragen auf und half, darüber nachzudenken, ohne einfach die richtigen Antworten zu liefern.
Der ebenfalls sechsjährige D. hatte drei Playmobil-Figuren mitgebracht. Doch ihm wollte nicht gleich eine Idee für eine Geschichte einfallen. Daher ließ er die Figuren zunächst ein bisschen hin und her laufen. Bewegung kam in die Story, als er die Idee hatte, den Dinosaurier einzubauen, den die Erzieherin Tatiana schon verwendet hatte, als das Prinzip von Stop-Motion gezeigt wurde. Nun entwickelte sich eine Geschichte. Die Idee entstand, mit einem Freund zusammen Geräusche und Dialoge aufzunehmen. Als dieser dazukam, wandelte sich D. vom Lernenden zum Experten: Er erklärte kompetent, wie das Trickfilmen funktioniert und was sie als nächstes machen sollten.
Reflexion
Im Nachgespräch äußerten die Erzieherinnen erstaunt, wie schnell die Zeit verging. Gerade wenn die App zum ersten Mal eingesetzt wird, sollte man ausreichend Zeit einplanen. Auf der anderen Seite war bemerkenswert, wie schnell die Kinder das Prinzip verstanden und die App bedienen konnten. Die Grundfunktionen waren innerhalb von Minuten erlernt. Selbstwirksamkeit und eigene Kompetenz konnten die Kinder unmittelbar erfahren.
Als Herausforderung wurde benannt, sich mit den eigenen Ideen zurückzuhalten und den Kindern Zeit zu geben, die Möglichkeiten zu erforschen und eine eigene Geschichte zu entwickeln. Die beiden Erzieherinnen hatten beim Ausprobieren am Vortag selbst viel Spaß und daher viel Elan mitgebracht, den sie bei der Arbeit aber bremsen mussten, um den Kindern selbst die Chance zu geben, die vorhandenen Möglichkeiten zu erkunden.
Dass beide Erzieherinnen die App mit jeweils nur einem Kind ausprobierten, lag an der Situation des Praxistests. Insgesamt wurde aber deutlich, dass Stop-Motion auch mit einer so zugänglichen App eher für kleine Gruppen geeignet ist. Schulkinder können die App nach einer Einführung sehr gut selbst bedienen. Im Kindergartenalter ist mehr Unterstützung notwendig. Gruppengrößen von zwei oder drei Personen pro Tablet scheinen hier eine ideale Besetzung zu sein.
Einsatzmöglichkeiten
Grundsätzlich zeigte sich, dass der Einsatz des Tablets und die Ankündigungen, einen Trickfilm erstellen zu wollen, die Kinder motivierte und sie mit Begeisterung bei der Sache sein ließ. Sie erlebten sich schnell als kompetente Akteure, die das Medium bedienen und eigene Ideen umsetzen konnten.
Die Wahl der Inhalte und das Entwickeln einer Geschichte stellten auf der einen Seite eine Herausforderung und auf der anderen Seite eine große Chance dar. Nachdem die Grundfunktionen der App erschlossen waren, entstand ein Spielraum, der zur Bühne für eigene Geschichten wurde. Bei dem sechsjährigen D. begannen die Ideen zu sprudeln, als er die Möglichkeit der Vertonung kennengelernt hatte. Eigene Spielfiguren animieren und sprechen lassen zu können, genügte als Inspiration.
Hierin liegt eine Chance der leicht zugänglichen App „Stop Motion Studio“: Kinder können Geschichten und Erzählungen erstellen und damit ihre eigenen Themen und Fragestellungen aufgreifen. Beim Trickfilmen entsteht aus den eigenen Ideen und Gedanken ein bleibendes Produkt, das mit anderen geteilt, angeschaut, besprochen und weiterfantasiert werden kann. Auch wenn es um das Erklären von Sachverhalten geht, bietet die App nach Einschätzung der Erzieherinnen viele Möglichkeiten. Kinder könnten Erklärungsfilme erstellen und dabei selbst zu Expert/innen werden, die ihr Wissen und Können vertiefen, darstellen und weitergeben.
Die App „Stop Motion Studio“ enthält alle Funktionen, um ohne Expertenkenntnisse einen Film zu erstellen. Aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte ist sie im Alltag ein hilfreiches Werkzeug, mit dem Kinder eigene Themen und Fragen kreativ verarbeiten können.
Bericht und Fotos: Jochen Wilke im Auftrag des DJI e.V.