Eigenverantwortlichkeit als Faktor für sorgeorientierte Vaterschaft
Im Interview mit Klaus Raab (ZEIT ONLINE, 08. Juni 2021) wirft Michael Meuser, Professor i.R. für die Soziologie der Geschlechterverhältnisse an der Technischen Universität Dortmund und Mitglied im DJI-Alumni-und-Freunde-Netzwerk, einen differenzierten Blick auf die Verteilung der Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern in Familien und verweist mit Blick auf die befürchtete Retraditionalisierung der Rollenverteilung während der Corona Pandemie hier auf uneinheitliche Studienbefunde.
Laut Michael Meuser belegt die Studienlage gesamtgesellschaftlich betrachtet weder eine stärkere Traditionalisierung noch eine Trendumkehr.
Unabhängig von Corona, so Meuser, sei die Beteiligung der Väter einerseits größer geworden und dieser Trend setze sich fort, andererseits bestehe trotz der fast vier Jahrzehnte währenden Gleichheitsdebatte, immer noch eine Kluft zwischen formulierten Ansprüchen und der alltäglichen Praxis in Familien. Diese Kluft lasse sich häufig im bürgerlichen, akademisch gebildeten Milieu feststellen, während man in anderen Milieus, z.B. bei Schichtarbeiterinnen und -arbeitern aus pragmatischen Gründen bzw. Zwängen oft auf mehr partnerschaftliche Arbeitsteilung treffe.
Auch aus Studien zur Elternzeitaufteilung zwischen Müttern und Vätern wisse man laut Meuser, dass sich dann eine nachhaltige Wirkung auf partnerschaftliche Arbeitsaufteilung einstelle, wenn der Vater seine Elternmonate unabhängig von der Elternzeit der Mutter nimmt und dadurch gefordert ist, eigenverantwortlich Sorgearbeit zu leisten. Durch diese Eigenverantwortlichkeit bildeten sich häufig innerfamilial neue Alltags- und Sorgearbeitsroutinen aus. Wenn Väter sich nun selbst verstärkt in die Sorgearbeit einbrächten, könne dies aber auch zur Folge haben, dass Entscheidungskompetenzen zwischen Müttern und Vätern neu verhandelt werden müssen, denn in unserer kulturellen Tradition sei Kinderbetreuung als Domäne der Mutter etabliert. Sowohl die Mehrzahl der Väter als auch die Mehrzahl der Mütter hätten die klare Vorstellung, dass die Mutter sorgekompetenter sei als der Vater.
Mit Blick auf die künftige Entwicklung erwartet Michael Meuser aus soziologischer Perspektive nicht, dass sich ein bereits seit Jahrzehnten im gesellschaftlichen Diskurs befindliches neues Modell von Vaterschaft innerhalb eines Jahrzehnts allgemein durchsetzen wird. Das seien lange Prozesse wie etwa das Beispiel Schweden zeige, wo sich seit Mitte der Siebzigerjahre, Familienpolitiken gezielt an Väter richteten. Heute gingen in Schweden zirka 80 Prozent der Väter in Elternzeit.