Jugend und Politik – ein schwieriges Verhältnis

Vielen jungen Menschen ist das Politische wichtig, aber nur wenige engagieren sich dauerhaft in Parteien. Das beeinflusst die Demokratie und stellt die politische Bildung vor neue Herausforderungen.

Von Martina Gille

Die Wahlverluste der Volksparteien CDU/CSU und SPD sowie der Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 sind Ausdruck eines veränderten politischen Stimmungsbildes der deutschen Bevölkerung, das sich mit einem Vertrauensverlust gegenüber den etablierten Parteien der bürgerlichen Mitte und einer Aufwertung von national-konservativen und rechtspopulistischen Haltungen beschreiben lässt (Vehrkamp/Wegscheider 2017; Müller-Hilmer/Gagné 2018). Nicht zuletzt deshalb, weil Vertreterinnen und Vertreter der AfD teilweise sehr offen für modernisierungsskeptische, antidemokratische und menschenfeindliche Haltungen z.B. gegenüber Flüchtlingen werben, steigt das Risiko, dass demokratische Grundwerte zunehmend ausgehöhlt werden.

Obwohl die Wählerinnen und Wähler der AfD eher dem Alterssegment der 45- bis 59-Jährigen angehören, stellt sich die Frage, ob junge Menschen, die weniger als Erwachsene über politische Erfahrungen verfügen, möglicherweise in besonderer Weise anfällig für Rechtspopulismus sind und durch Angebote der politischen Bildung in ihren demokratischen Grundhaltungen gestärkt werden müssen.

Jugendliche bringen der etablierten Politik wenig Vertrauen entgegen

Große repräsentative Jugendstudien belegen, auch und besonders Jugendliche bringen der etablierten Politik wenig Vertrauen entgegen (Gille 2018; Schneekloth u.a. 2017). Trotz dieser Distanz zum politischen System sind junge Menschen aber nicht unpolitisch. Im Gegenteil: Sie wollen mitgestalten, weichen allerdings aus auf punktuelle, themenspezifische oder andere informelle Aktionen außerhalb der Parteien, die eher expressiv und protestorientiert sind und auch im Internet stattfinden können. Dies zeigen die Ergebnisse des DJI-Surveys »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten« (AID:A) aus dem Jahr 2014, bei dem etwa 9.000 16- bis 29-Jährige zu ihrem politischen Engagement befragt wurden (siehe Abbildung).

Im Hinblick auf konventionelle Beteiligungsformen in repräsentativen Demokratien, wie z.B. bei einer Partei mitarbeiten oder zur Wahl gehen, schätzten sich die befragten jungen Menschen im Vergleich zu älteren Generationen als zurückhaltender ein. Von einem Engagement in einer politischen Partei in den vergangenen zwölf Monaten berichteten lediglich 3 Prozent von ihnen. Der Anteil der Parteimitglieder in der Gesamtbevölkerung liegt mit gerade mal 2 Prozent sogar noch unter diesem Wert (Weßels 2016, S. 406). Erklären lässt sich dieses niedrige Niveau damit, dass das Engagement in einer Partei sowohl eine intensive Form der Beschäftigung mit Parteiprogrammen als auch eine relativ stabile politische Selbstpositionierung innerhalb des vorhandenen Parteienspektrums voraussetzt sowie die aktive Bekundung einer Parteiensympathie und den Vollzug eines Parteieintritts. Auch für Erwachsene ist der Schritt zu einem Parteienengagement deshalb keine Selbstverständlichkeit und wird selten vollzogen.

Junge Menschen über die Rolle von Politik in ihrem Leben

Vier Jugendliche aus Deutschland berichten darüber, für welche politische Themen sie ich interessieren, welchen Stellenwert Politik an ihrer Schule hat und wofür sie sich engagieren. mehr

Die Wahlbeteiligung der 18- bis 20-Jährigen und der 21- bis 24-Jährigen lag bei der Bundestagswahl 2017 mit 70 Prozent bzw. 67 Prozent deutlich unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung in Höhe von 76 Prozent. Sie hat sich jedoch – entgegen einer häufig medial vertretenen These – seit Beginn der 1990er-Jahre nicht verringert (Der Bundeswahlleiter 2018). Stattdessen hat die stärkere Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern bei der vergangenen Bundestagswahl – immerhin stieg die Teilnahmequote um 5 Prozentpunkte gegenüber der Bundestagswahl 2013 – auch die jüngeren Altersgruppen erfasst.

Neben politischen Beteiligungsformen wie Wählen oder Mitarbeit in Parteien spielt für junge Menschen das breite Spektrum unkonventioneller Aktivitäten wie Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Boykotte oder Internetkampagnen eine wichtige Rolle, um ihren Standpunkt zum Ausdruck zu bringen bzw. Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.Im DJI-Survey AID:A des Jahres 2014 gab ein Drittel der Befragten an, sich innerhalb der vergangenen zwölf Monate an einer Unterschriftensammlung beteiligt zu haben; etwa ein Viertel berichtet von Konsumboykott und Online-Protestaktionen; jeweils 15 Prozent der 16- bis 29-Jährigen nahmen im genannten Zeitraum an Demonstrationen oder an öffentlichen Diskussionen in Versammlungen teil; 10 Prozent beteiligten sich an politischen Diskussionen in sozialen Netzwerken (siehe Abbildung oben).

Digitalen Medien wird von der Politik vor allem im Hinblick auf eine politische Mobilisierung der jungen Generation eine große Bedeutung zugeschrieben. Wer die sozialen Netzwerke ohnehin für private und berufliche Kontakte nutzt, findet dort auch einen leichten Zugang zu politischen Informationen und Möglichkeiten, die eigene politische Meinung zu äußern. Eine internationale Studie des Politikwissenschaftlers Norbert Kersting zeigt anhand von Umfragedaten des »International Social Survey Programme« (ISSP) aus 57 Nationen, dass die politische Beteiligung über Online-Foren im Zeitraum zwischen 2004 und 2014 deutlich zugenommen hat – nicht nur bei der jungen Generation, sondern in allen Altersgruppen. Die Beteiligung an Online-Foren ist in Deutschland bei den 18- bis 28-Jährigen von 51 auf 63 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Bei den 29- bis 38-Jährigen bzw. den 39- bis 48-Jährigen lag sie im Jahr 2014 bei 50 bzw. 42 Prozent (Kersting 2017, S. 135). Die Untersuchungen von Norbert Kersting machen aber auch deutlich, dass die Partizipation in sozialen Netzwerken einen vorwiegend expressiven Charakter hat: Vorgegebene politische Statements werden in der Regel geteilt oder abgelehnt, Diskurse und Dialoge sind hingegen selten (Kersting 2016).

Nach den Ergebnissen des DJI-Surveys AID:A halten sich 32 Prozent der 12- bis 29-Jährigen für sehr stark oder stark politisch interessiert, 25 Prozent für wenig oder überhaupt nicht. 44 Prozent schätzen ihr Interesse für Politik immerhin als durchschnittlich ein. Das politische Interesse junger Menschen ist eng verknüpft mit deren regelmäßiger Information – offline und online – über Politik sowie mit der Häufigkeit politischer Gespräche im Alltag (Gille 2016). Politisch interessierte junge Menschen betten Politik in ihren Alltag ein. Sie berichten öfter als politisch Uninteressierte von Gesprächen über Politik mit ihren Eltern, mit Freunden oder in schulischen und beruflichen Kontexten.

Mit wachsendem Lebensalter – und zunehmender Verantwortung im Hinblick auf Qualifikationserwerb, Berufseinstieg und eine eigenständige Zukunftsplanung – nimmt das politische Interesse nach dem DJI-Survey in der Regel stetig zu. Auffallend, und durch die bisherige Forschung immer wieder bestätigt, ist der große Unterschied in der Ausprägung des politischen Interesses zwischen jungen Frauen und Männern. Während lediglich 22 Prozent der weiblichen 12- bis 29-Jährigen angaben, stark politisch interessiert zu sein, waren es bei den Männern mehr als 40 Prozent.

Aber auch die Bildungsressourcen stellen nach den Ergebnissen des DJI-Surveys eine wichtige Einflussgröße auf das Ausmaß des politischen Interesses dar: Befragte, die über ein (Fach-)Abitur verfügen, sind in der Regel politisch besonders interessiert. Diejenigen mit maximal Hauptschulabschluss zeigen am wenigsten Interesse an Politik (siehe Abbildung unten). Tendenziell nutzen höher Gebildete auch alle Angebote der politischen Mitwirkung häufiger. Jede zusätzliche Beteiligungsmöglichkeit verstärkt daher die Ungleichheit der politischen Beteiligung (Merkel 2011).

Es besteht das Risiko, dass niedrig Gebildete nicht nur finanziell, sondern auch politisch an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.

Ohne zusätzliche Bemühungen, weniger privilegierte junge Menschen an die Politik heranzuführen, besteht das Risiko, dass (junge) Menschen mit niedriger Schul- und Berufsausbildung nicht nur beruflich und finanziell, sondern auch politisch an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden, weil ihnen aufgrund ihres geringeren politischen Wissens die Artikulationsmöglichkeiten für Forderungen an die Politik fehlen und sie Beteiligungsmöglichkeiten weniger nutzen. Die Polarisierung der Gesellschaft würde sich damit weiter verschärfen.

Die teilweise kompromisslose Haltung der jungen Generation deutet auf Defizite in deren Politikverständnis hin. Demokratie benötigt nicht nur aktive Bürgerinnen und Bürger, die ihre politischen Forderungen einbringen, sondern auch die Akzeptanz von Interessenkonflikten sowie die Bereitschaft, sich auf Aushandlungsprozesse mit politisch An dersdenkenden einzulassen. In der Vermittlung dieser beiden Aspekte demokratischer Politik liegt eine zentrale Aufgabe politischer Bildung.

Die hohe Bedeutung, die dem politischen Interesse im Hinblick auf die politische Partizipation zukommt, verweist auf die Notwendigkeit, dass dieses Interesse bei jungen Menschen möglichst früh geweckt und gefördert werden sollte. Nicht nur in der Familie, sondern auch in Kindertageseinrichtungen und Schulen sollten deshalb Möglichkeiten zur Mitsprache und Beteiligung geboten werden, damit alle Kinder von früh auf Meinungsäußerung, Konfliktlösung, Selbstpositionierung und geregelten Konsens als Bestandteile politischer Bildung praktisch erleben können.

Der Bundeswahlleiter (2018): Zeitreihe seit 1953: Wahlberechtigte,Wähler/innen und Wahlbeteiligung nach Geschlecht und Altersgruppen

Gille, Martina (2016): Das Verhältnis junger Menschen zur Politik – Politisches Interesse und weitere Aspekte politischer Involvierung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In: Gaiser, Wolfgang/Hanke, Stefanie /Ott, Kerstin (Hrsg.) (2016): Jung – politisch – aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen. Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, S. 32–49

Gille, Martina (2018): Politische Einstellungen zur Demokratie – eine Bestandsaufnahme der Umfrageforschung. In: Apelt, Andreas H./Reimers, Dirk (Hrsg.): Repräsentative versus direkte Demokratie. Repräsentation in der Krise? Halle (Saale), S. 22–56

Kersting, Norbert (2016): Politische Online-Beteiligung im internationalen Vergleich. Eine Revitalisierung politischer Beteiligung? In: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, Sonderheft 10, S. 91–113

Kersting, Norbert (2017): Jugendliche und Online-Partizipation.Revitalisierung oder Regression politischer Beteiligung. In: Kühnel, Wolfgang/Willems, Helmut (Hrsg.): Politisches Engagement im Jugendalter. Zwischen Beteiligung, Protest und Gewalt. Weinheim/Basel, S. 124–142

Merkel, Wolfgang (2011): Entmachten Volksentscheide das Volk? Anmerkungen zu einem demokratischen Paradoxon. In: WZB-Mitteilungen, H. 131, S. 10–13

Müller-Hilmer, Rita/Gagné, Jérémie (2018): Was verbindet, was trennt die Deutschen? Werte und Konfliktlinien in der deutschen Wählerschaft im Jahr 2017. Erschienen in der Reihe: Forschungsförderung Report, Nr. 2, Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf

Schneekloth, Ulrich u.a. (2017): Eine Generation im Aufbruch. Zwischen wachsendem politischen Interesse und anhaltender Politikverdrossenheit. In: Kühnel, Wolfgang/Willems, Helmut (Hrsg.): Politisches Engagement im Jugendalter. Zwischen Beteiligung, Protest und Gewalt. Weinheim/Basel, S. 18–46

Vehrkamp, Robert/Wegscheider, Klaudia (2017): Populäre Wahlen. Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017. Gütersloh

Wessels, Bernhard (2016): Politische Integration und politisches Engagement. In: Statistisches Bundesamt/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Hrsg.): Datenreport 2016. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn, S. 400–406

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 1/2018 der DJI Impulse „Demokratie lernen –  Wie sich politische Bildung in Zeiten von Digitalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung wandeln muss“.

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