Pro

Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (SPD)

Ja, denn wir wollen mehr Chancengerechtigkeit für alle Kinder, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine höhere Erwerbsquote von Frauen. Deshalb ist der Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule auch ein prioritäres Vorhaben im Koalitionsvertrag. Dass es geht, haben wir schon beim Kita-Ausbau bewiesen: Bund, Länder, Kommunen, Träger und Fachkräfte haben gemeinsam den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz möglich gemacht und Hunderttausende zusätzliche Plätze geschaffen. Und auch im Grundschulbereich muss mehr passieren, denn für viele Familien kommt mit der Einschulung der Bruch: die Nachmittagsbetreuung fällt weg, die Kinder stehen oft schon mittags wieder vor der Tür, mit leerem Magen und der Schultasche voll unerledigter Hausaufgaben. Häufig sind es dann die Frauen, die im Job kürzertreten, weniger verdienen, schlechtere Aufstiegschancen haben, später weniger Rente. Es sind auch diejenigen, die in den Unternehmen als Fachkräfte fehlen. Aktuelle Umfragen bestätigen, dass Mütter wie Väter sich einen Ausweg aus diesem Dilemma wünschen: 82 Prozent der Eltern unterstützen den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Der Staat hat auf all seinen Ebenen dafür zu sorgen, die Situation zu verbessern. Dafür braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung und einen klaren politischen Willen. In der Bund-Länder-AG, die dazu getagt hat, haben wir uns darauf verständigt, was Ganztag in deutschen Grundschulen künftig bedeuten soll: Klassen 1 bis 4, fünf Tage die Woche, 8 Stunden am Tag, maximal vier Wochen Schließzeit in den Ferien pro Jahr. Wir werden jetzt gemeinsam mit den Ländern und Kommunen klären, welche Schritte in den nächsten Jahren zu gehen sind. Der Bund wird 2020 und 2021 insgesamt 2 Milliarden Euro an Investitionsmitteln beisteuern. Wie der Rechtsanspruch bis 2025 konkret vor Ort ausgestaltet wird, von Hort bis gebundener Ganztagsschule, soll in den Ländern und Kommunen frei entschieden werden – anhand der Bedarfe und der vorhandenen Ressourcen. Denn wir fangen ja nicht bei null an – mehr als die Hälfte der Grundschulkinder in Deutschland sind bereits im Ganztag – in einigen Bundesländern sogar über 90 Prozent. Wichtig ist aber, dass wir überall im Land ein verlässliches und qualitativ hochwertiges Angebot schaffen – als Zeichen gleichwertiger Lebensverhältnisse und zum Wohle der Kinder und Familien.

Contra

Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds

Nein,
die Städte und Gemeinden wissen zwar, dass viele Eltern auch in der Grundschule eine ganztägige Betreuung für Ihre Kinder wünschen. Das verstehen wir, das unterstützen wir. Diese Entwicklung wird in den nächsten Jahren noch zunehmen. Viele junge Mütter werden möglichst rasch in den Arbeitsprozess zurückkehren wollen. Die Lösung kann aber nicht sein, dass der Gesetzgeber erst einmal einen Rechtsanspruch verspricht und dann erst überlegt, wie er umzusetzen ist. Genau umgekehrt sollte verfahren werden. Das jeweilige Bundesland sollte mit den Kommunen gemeinsam die Eltern fragen: „Was wollt ihr? Eine Nachmittagsbetreuung oder eine echte Ganztagsschule mit einem pädagogischen Konzept?“ Ich bin davon überzeugt, dass sich eine große Mehrheit für die Ganztagsschule aussprechen wird. Als nächstes müssten dann die Ganztagsschulen ausgebaut oder ¬– dort, wo gewünscht ¬– die Betreuung organisiert, finanziert und langfristig gesichert werden. Erst am Ende kann der Rechtsanspruch stehen. Es geht also nicht um das Ziel, sondern es geht um den Weg. Auch die Ganztagsbetreuung in der Grundschule ist kein „Wünsch dir was“-Programm. Aktuelle Zahlen prognostizieren, dass bundesweit bis zum Jahr 2025 im Kindergarten und in der Grundschule 600.000 Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrkräfte benötigt werden. Die gibt es nicht. Die Ausbildungskapazitäten der Länder geben das derzeit auch nicht her. Deswegen muss auch bei der Ganztagsbetreuung in der Grundschule der Grundsatz gelten: Nicht das Erzählte reicht, sondern das Erreichbare zählt.

Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2019 der DJI Impulse „Recht auf einen Ganztagsplatz – Potenziale des geplanten Rechtsanspruchs im Grundschulalter“.

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