Was ab der 5. Klasse für Ganztagsangebote spricht
An weiterführenden Schulen steigen die Erwartungen der Eltern: Während der Betreuungsaspekt zunehmend an Bedeutung verliert, wächst das Interesse an individueller Förderung der Kinder.
Von Bettina Arnoldt, Susanne Gerleigner und Alexander Kanamüller
Hinter dem Ziel, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule einzuführen, steht die grundlegende Idee, Eltern verlässliche Betreuungszeiten zu bieten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Bereitstellung von Öffnungszeiten, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern, auch wenn mehrere Stimmen in der aktuellen Diskussion anmahnen, dass Eltern sich zudem qualitativ hochwertige Angebote und Förderungsmöglichkeiten für ihr Kind wünschen (Zorn 2019).
Doch wie sieht es in der weiterführenden Schule aus: Haben Eltern von Kindern in der Sekundarstufe einen ähnlichen Betreuungsbedarf wie in der Grundschule? Für wen und aus welchen Gründen ist eine Ganztagsschule in der Sekundarstufe I von Interesse? Gerade aufgrund des höheren Alters der Kinder liegt es nahe, dass für Eltern bei der Wahl eines Ganztagsangebots die Betreuung an Bedeutung verliert und Aspekte der besseren individuellen Förderung wichtiger werden – zumal diese ein zentrales Ziel des Ganztagsschulausbaus darstellt (Solzbacher u.a. 2012).
Der notwendige Umfang der Betreuungszeit nimmt ab
Die repräsentative Kinderbetreuungsstudie (KiBS) des Deutschen Jugendinstituts erhob im Jahr 2017 den Betreuungsbedarf von Eltern mit Kindern bis zu einem Alter von 14 Jahren. In diesem Zusammenhang hat knapp die Hälfte aller Eltern mit Kindern in den Jahrgangsstufen fünf bis acht einen Betreuungsbedarf angegeben. Zum Vergleich: Von den Eltern mit Grundschulkindern benötigen fast drei Viertel einen Betreuungsplatz (mehr zu Elternwünschen). Dabei sinkt in der Sekundarstufe der Bedarf kontinuierlich mit steigendem Alter der Kinder, von 55 Prozent in der 5. Klasse auf 36 Prozent in der 8. Klasse.
Der Umfang der abzudeckenden Zeiten ist ebenfalls nicht mehr so hoch wie in der Grundschule. Liegt ein Betreuungsbedarf in der Sekundarstufe I vor, dann wird er inklusive Unterrichtszeit mit durchschnittlich 35 Wochenstunden angegeben. Eine Betreuung an fünf Tagen in der Woche benötigen 40 Prozent der Eltern und je circa 15 Prozent an vier, drei oder gar nur zwei Tagen.
Auch bei dem bevorzugten Ort der Betreuung lässt sich eine Veränderung beim Wechsel an die weiterführende Schule feststellen. Wenn sie frei wählen könnten, würden zwei Drittel der Eltern mit Kindern in den Jahrgangsstufen fünf bis acht eine Ganztagsschule gegenüber einem Hort, einer Mittagsbetreuung oder anderen Arrangements vorziehen. Dies ist eine deutliche Veränderung gegenüber den Vorlieben der Eltern mit jüngeren Kindern, die nur zu einem Drittel eine Ganztagsschule wählen würden – und somit genauso viele, die sich für einen Hort entscheiden würden (Alt u.a. 2018).
Nur für gut ein Viertel der Eltern ist das Ganztagsangebot ein wichtiges Kriterium
In Anbetracht der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Eltern mit Kindern in der 5. Klasse noch einen Betreuungsbedarf äußern und der Hort für diese Altersgruppe an Zuspruch verliert, stellt sich die Frage, inwieweit Eltern am Ende der Grundschulzeit die Option einer Ganztagsschule explizit in ihre Überlegungen bei der Suche nach einer weiterführenden Schule miteinbeziehen. Für welche Eltern diese Option besonders wichtig ist, ist ebenfalls von Interesse. Im Rahmen der Studie StEG-Bildungsorte haben im Frühjahr 2017 mehr als 500 Eltern mit Kindern im Grundschulalter dazu Auskunft gegeben.
Im Vergleich zu anderen Aspekten – wie dem schulischen Profil, dem Ruf der Schule oder deren Erreichbarkeit – spielt das Kriterium Ganztag bei der Schulsuche eine eher untergeordnete Rolle, das allerdings nach geplanter Schulform variiert. Insgesamt ist die Ganztagsschule für nur gut ein Viertel der Eltern ein wichtiges Kriterium. Bei Eltern, deren Kind voraussichtlich nicht auf ein Gymnasium wechseln wird, spielt die Ganztagsschule bei der Schulsuche immerhin bei gut einem Drittel eine Rolle. Demgegenüber berücksichtigt nur ein Fünftel der Eltern, die für ihr Kind ein Gymnasium planen, diesen Aspekt bei der Suche.
Für Alleinerziehende und Eltern, die beide nicht in Deutschland geboren wurden, ist der Ganztag bei der Suche nach dem passenden Gymnasium für ihr Kind jedoch wichtiger. Bei Ersteren könnte dies auf einen nach wie vor bestehenden Betreuungsbedarf zurückzuführen sein, bei Letzteren vielleicht auf die Hoffnung, dass eine Ganztagsschule mögliche eigene verminderte Unterstützungsmöglichkeiten aufgrund eventueller sprachlicher Defizite kompensieren könnte.
Bei der Suche nach einer nicht-gymnasialen weiterführenden Schule beziehen Eltern, die sich nicht ohne weiteres an Freunde oder Bekannte wenden können, wenn sie hinsichtlich der Kinderbetreuung oder bei Erziehungsfragen Hilfe benötigen, häufiger den Ganztag in ihre Suchprozesse mit ein.
Darüber hinaus spielt für diejenigen Eltern der Ganztag eine wichtigere Rolle bei der Schulsuche, denen eine individuelle Förderung in der Schule durch ein gezieltes Eingehen auf die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen wichtig ist. Unabhängig von der geplanten Schulform erhöht zudem auch eine generell positive Grundeinstellung gegenüber dem Ganztag die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern den Ganztag explizit in ihre Überlegungen bei der Schulwahl mit einbeziehen.
Gut situierte oder eher traditionell geprägte Familien nutzen häufiger außerschulische Angebote
Welche Gründe für die Anmeldung des Kindes im Ganztag im Einzelnen von Bedeutung sind und wie sich diese gegenüber den Erwartungen an die Grundschule unterscheiden, zeigen frühere Ergebnisse der StEG-Studie. Mithilfe dieser Daten lässt sich eine Verschiebung des Stellenwerts von der Betreuung hin zur individuellen Förderung nachzeichnen. In der Grundschule stehen bei Eltern insbesondere drei Aspekte bei der Ganztagsanmeldung ihres Kindes im Vordergrund: Verlässliche Betreuungszeiten, der Wunsch nach besseren Kontakten zu Gleichaltrigen für das Kind und zusätzliche interessante Angebote. Gezielte individuelle Förderung, wie beispielsweise eine Unterstützung bei den Hausaufgaben, ist diesen Aspekten gegenüber nachrangig, wenn auch immer noch von hoher Wichtigkeit (Arnoldt/Steiner 2015).
In der Sekundarstufe I gewinnt das Motiv der Förderung gegenüber dem Betreuungsmotiv an Bedeutung. Als wichtigster Grund für die Teilnahme werden bessere individuelle Fördermöglichkeiten genannt. Darüber hinaus sind zusätzliche interessante Angebote, die Förderung der Selbstständigkeit und die Hoffnung auf bessere Leistungen in den Schulfächern weitere wichtige Gründe für die Anmeldung des Kindes im Ganztag. Gegenüber der Grundschule verliert der Aspekt der Sozialkontakte in der weiterführenden Schule an Bedeutung (Arnoldt/Steiner 2015).
Vor allem Eltern, deren Kind kein Gymnasium besucht, die über einen geringeren sozioökonomischen Status verfügen, in den neuen Bundesländern leben oder einen Migrationshintergrund haben, ist eine verlässliche Betreuung wichtiger als anderen Eltern. Das trifft außerdem auf Familien zu, in denen beide Elternteile berufstätig sind oder keine klassische Kernfamilie bilden. Allerdings zeigt sich auch, dass es die gleiche Gruppe von Eltern ist, die sich von der Ganztagsschule individuelle Förderung verspricht. Das heißt, unabhängig von den spezifischen Gründen haben vor allem weniger privilegierte sowie weniger traditionell geprägte Familien (z.B. Alleinerziehende, Patchworkfamilien) eine Ganztagsschule als weiterführende Schule im Blick. Besser situierte oder eher traditionell ausgerichtete Familien (z.B. Kernfamilie, klassische Arbeitsteilung in der Familie) nutzen demgegenüber häufiger außerschulische Bildungs- und Betreuungsangebote.
Alt, Christian / Gedon, Benjamin / Hubert, Sandra / Hüsken, Katrin / Lippert, Kerstin (2018): DJI-Kinderbetreuungsreport 2018. Inanspruchnahme und Bedarfe bei Kindern bis 14 Jahre aus Elternperspektive – ein Bundesländervergleich. München
Arnoldt, Bettina / Steiner, Christine (2015): Perspektiven von Eltern auf die Ganztagsschule. Zeitschrift für Familienforschung, 27. Jg., H. 2., S. 208–227
Solzbacher, Claudia / Behrensen, Birgit / Sauerhering, Meike / Schwer, Christina (2012): Jedem Kind gerecht werden? Sichtweisen und Erfahrungen von Grundschullehrkräften. Köln
Zorn, Dirk (2019): Ganztags-Rechtsanspruch für Grundschulkinder: Was jetzt passieren muss. Sozialmagazin, 44. Jg., H. 1–2, S. 47–49
Weitere Analysen gibt es in Ausgabe 2/2019 der DJI Impulse „Recht auf einen Ganztagsplatz – Potenziale des geplanten Rechtsanspruchs im Grundschulalter“.