Welche Kinder und Eltern die Pandemie am härtesten trifft


Die Coronavirus-Pandemie hat den Alltag von Familien in Deutschland vollkommen verändert. Wie sich Kita- und Schul- Schließungen sowie stark eingeschränkte Kontakte im Frühjahr 2020 auf das Familienklima sowie das Wohlbefinden der Kinder auswirkte und was ihnen dabei half, mit den Veränderungen zurechtzukommen, zeigen die Ergebnisse der Studie "Kind sein in Zeiten von Corona" des Deutschen Jugendinstituts (DJI).

Besonders viele Kinder aus finanziell belasteten Familien fühlen sich einsam

Für einige Kinder ist die Pandemie mit Gefühlen der Einsamkeit verbunden: Mehr als ein Viertel (27 Prozent) der befragten Eltern stimmten der Aussage eher oder ganz zu, dass sich ihr Kind während des ersten Lockdowns einsam fühlte. In Familien mit schwieriger finanzieller Lage traf dies auf noch weit mehr Kinder zu: Unter ihnen fühlten sich den Angaben der Eltern nach fast die Hälfte (48 Prozent) einsam gegenüber 21 Prozent der Kinder aus Familien, die mit ihrem Einkommen gut leben können. Auch mit emotionalen Problemen wie Niedergeschlagenheit, Ängste und Sorgen sowie mit Hyperaktivität haben mehr Kinder aus finanziell schlechter gestellten Familien zu kämpfen (44 Prozent vs. 18 Prozent // 39 vs. 18 Prozent) – und zwar umso mehr, je angespannter die Eltern ihre wirtschaftliche Situation empfinden.

Was hilft, ist der Kontakt zu Bezugspersonen in Kita und Schule

Die Studienergebnisse machen deutlich, was zu einer guten Krisen-Bewältigung betragen kann: Der Anteil der Kinder, die mit der Situation gut zurechtkamen, war unter denjenigen höher, die Geschwister zum Spielen und zum Aufmuntern haben (70 vs. 66 Prozent) und bei denjenigen, die in regelmäßigen Kontakt mit ihren Großeltern standen (71 vs. 56 Prozent). Unter den Kindern in der Sekundarstufe hatten diejenigen Vorteile, die mit Freunden (70 vs. 66 Prozent) und Lehrkräften (73 vs. 64 Prozent) im Austausch blieben. Alle Kinder und Jugendlichen fühlten sich durch häufige Kontakte zu pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften zudem weniger einsam (20 vs. 35 Prozent). Das zeigen die Einschätzungen der Eltern ebenso wie die der Kinder und Jugendlichen selbst. Vom Austausch mit Bezugspersonen aus Kita und Schule profitieren den Analysen nach auch die Eltern: Sie fühlten sich dann mit der Doppelbelastung durch Homeschooling und Erwerbsarbeit weniger überfordert.

Ein Drittel der Kinder hatte Schwierigkeiten, mit dem Lockdown zurechtzukommen

Wenngleich viele Kinder die Herausforderungen der Corona-Krise eher gut oder sehr gut zu bewältigen scheinen, berichtete nahezu ein Drittel der befragten Eltern, dass ihr Kind Schwierigkeiten hatte, mit der Situation umzugehen. Den Studienergebnissen nach machen ihnen insbesondere die Trennung von Freunden, das Fehlen des gewohnten (Schul-)Alltags und der Mangel an Freizeitaktivitäten zu schaffen. Aus den Interviews geht zudem hervor, dass sie durch Corona verstärkt mit Ängsten konfrontiert sind. Mehr gemeinsame Zeit mit der Familie und einen weniger eng getakteten Alltag erlebten viele hingegen positiv. Gemeinsame Aktivitäten und Mahlzeiten sowie mehr Zeit mit den Vätern hoben viele Kinder in diesem Zusammenhang hervor.

In Familien, in denen Konflikte und Chaos an der Tagessordnung standen, war der Anteil der Kinder mit Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Pandemie noch weitaus höher: Mehr als die Hälfte der Eltern (53 Prozent), bei denen häufig oder sogar sehr häufig ein konflikthaltiges Klima herrschte, gaben an, dass ihr Kind nicht gut mit den Veränderungen zurechtgekommen sei. Jede fünfte Familie (22 Prozent) berichtete, dass bei ihnen häufig oder sehr häufig ein konflikthaltiges beziehungsweise chaotisches Klima herrschte. Diese Situation kam offenbar verstärkt in Haushalten mit mehreren Kindern vor.

Treffen schwierige Lebensverhältnisse, belastete Eltern und anspruchsvolle Kinder aufeinander, verstärken sich bereits vor der Pandemie bestehende Nachteile. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund des Kinderschutzes besorgniserregend. Deshalb ist es wichtig, Familien in dieser Zeit vermehrt Beratung anzubieten.
Dr. Alexandra Langmeyer, Leiterin der Studie

Das Wohlbefinden der Kinder hänge während der Krise noch mehr als sonst von der Familie ab – einerseits durch die finanzielle Situation, andererseits durch das Familienklima. Die wichtige Rolle der Familie komme ganz besonders zum Tragen, wenn Kinder – durch eine eigene Infektion oder durch Infektionsfälle in der Kita-Gruppe oder Klasse – in Quarantäne müssen, schreiben die Studienautorinnen und -autoren in ihrem Fazit. Zur besseren Unterstützung fordern sie standardisierte, altersdifferenzierte Informationen der Gesundheitsämter für Eltern, die beschreiben, wie sie die Zeit der Quarantäne ihrer Kinder gut gestalten können, und ihnen aufzeigen, wo sie sich bei Bedarf Hilfe holen können.

Einige Familien beziehen die Großeltern weiter in die Kinderbetreuung ein

Trotz der Empfehlung, während des Lockdowns im Frühjahr 2020 auf persönliche Kontakte mit den Großeltern zu verzichten, bezogen 15 Prozent der befragten Familien diese in die Betreuung ihrer Kinder ein. Je jünger die Enkelkinder, umso häufiger wurden sie nach Auskunft der befragten Eltern von Oma oder Opa betreut. „Unter dem Druck, Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung gleichzeitig nachkommen zu müssen, sahen sich möglicherweise einige Eltern dazu gezwungen, auf die Unterstützung der Großeltern zurückzugreifen“, sagt Langmeyer. Denkbar sind aber auch weitere Gründe, etwa, dass die Großeltern jünger sind und sich selbst als nicht besonders gefährdet einschätzen oder dass sie im gleichen Haushalt wohnen und zur Familie gezählt werden.

Auch wenn ein Großteil der befragten Eltern (86 Prozent) angab, dass die Zeit der Kinder mit den Großeltern weniger geworden ist, gelang es so gut wie allen (98 Prozent), zumindest sporadisch mit Oma und Opa verbunden zu bleiben. Hatten die Kinder keinen persönlichen Kontakt zu ihren Großeltern, tauschten sie sich hauptsächlich per Telefon mit ihnen aus (88 Prozent), jüngere Kinder zusätzlich oftmals auch per Videoanrufe.

Mit steigendem Alter der Kinder nimmt die Nutzung digitaler Medien zu

Durch die Einschränkungen während des Lockdowns veränderten sich bei allen Kindern die Freizeitaktivitäten: Nach Auskunft der befragten Eltern spielten alle Altersgruppen häufiger in der Wohnung und gingen vermehrt kreativen Tätigkeiten nach, wie beispielsweise basteln und malen. Kinder im Schulalter verbrachten zudem offenbar mehr Zeit mit Schulaufgaben als vor dem Lockdown. Auch die Mediennutzung hat nach Einschätzung der Befragten in allen Altersgruppen deutlich zugenommen – mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Mädchen und Jungen im Kindergartenalter verbrachten nach Einschätzung der befragten Eltern die Zeit zuhause verstärkt mit traditionellen Medien wie Fernsehen (68 Prozent), Radio hören  Hörspiele oder Geschichten anhören (60 Prozent) sowie dem Betrachten von (Bilder-)Büchern oder dem elterlichen Vorlesen (44 Prozent). Digitale Medien haben in diesem Alter nur einen geringen Stellenwert, wobei immerhin ein knappes Drittel der befragten Eltern angab, dass ihre Kinder häufiger am Computer oder Smartphone spielten und 14 Prozent, dass ihre Kinder öfter im Internet surften als zuvor.

Die Zahlen deuten darauf hin, dass der ‚digitale Babysitter‘ in einigen Familien zum Einsatz kam. Solange das nur vorrübergehend geschieht und mit den jeweiligen Lockerungen der Medienkonsum wieder zurückgeht, ist das allerdings nicht zwingend problematisch.
Dr. Alexandra Langmeyer

Kinder im Schulalter nutzten digitale Medien offenbar deutlich stärker, um die entstandenen Lücken in den Freizeitaktivitäten zu füllen: Mehr als die Hälfte der Grundschulkinder verbrachten nach Einschätzung ihrer Eltern mehr Zeit mit Computerspielen und ein Drittel war häufiger im Internet. Unter den Kindern und Jugendlichen der Sekundarstufe beschäftigten sich Dreiviertel mehr mit Fernsehen, Streamingdiensten oder YouTube, fast ebenso viele surften häufiger im Internet und gut zwei Drittel spielten häufiger am Computer, Tablet oder Smartphone. Knapp die Hälfte hörte laut Angaben der befragten Eltern mehr Musik, Radio oder Hörspiele, gut ein Drittel las mehr Bücher.

Dass Schulkinder während Kita- und Schulschließungen zu Hause mehr Medien nutzen, hält die Sozialwissenschaftlerin Langmeyer kaum für vermeidbar, schließlich erfordere das bereits die veränderte Lernsituation. Die Interviews mit den Kindern und Jugendlichen zeigen, dass sie Medien zum Teil recht innovativ nutzen: Sie spielten beispielsweise per Skype gemeinsam Brettspiele oder klassische Kinderspiele, wie „Stein, Schere, Papier“.

Die Studie "Kind sein in Zeiten von Corona"

Nach einem breiten Studienaufruf über Webseiten, soziale Netzwerke und E-Mail-Verteiler haben sich zwischen dem 22. April und dem 21. Mai 2020 deutschlandweit 12.628 Eltern von Kindern im Alter von drei bis 15 Jahren an der Befragung beteiligt. Wie in vielen anderen Online-Umfragen haben auch hier vor allem Eltern mit einem hohen formalen Bildungsabschluss teilgenommen, Eltern mit mittlerem und niedrigem Bildungsabschluss sind hingegen unterrepräsentiert. Deshalb lassen sich die dargestellten Befunde nicht auf die Gesamtbevölkerung übertragen. Es sind aber Vergleiche von Kindern in unterschiedlichen Lebenslagen möglich. Zwischen dem 26. Mai und dem 8. Juni interviewten die DJI-Forscherinnen und -Forscher zusätzlich in 21 Familien Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren und ein Elternteil ausführlich, um insbesondere die Perspektive der Kinder und Jugendlichen einzubeziehen und die Herausforderungen der Familien tiefergehender betrachten zu können.


Langmeyer, Alexandra; Guglhör-Rudan, Angelika; Naab, Thorsten; Urlen, Marc; Winklhofer, Ursula (2020): Kind sein in Zeiten von Corona. Ergebnisbericht zur Situation von Kindern während des Lockdowns im Frühjahr 2020