Queere Jugendliche erleben Diskriminierung
Es ist in Deutschland kein Tabu mehr, lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder queer (LSBT*Q) zu sein. Dennoch erleben viele Jugendliche deswegen Diskriminierungen.
Nicht der heterosexuellen Norm zu entsprechen oder sich nicht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig zu fühlen (trans*/queer), führt im Alltag immer noch zu teils abweisenden bis feindseligen Reaktionen. Rund 11 Prozent der 14- bis 29-Jährigen beschreiben sich hierzulande als LSBT*Q (Dalia Research 2016). Ihr Alltag ist geprägt vom Umgang mit erlebter oder befürchteter Diskriminierung und von Ängsten vor einem Coming-out, das ihnen erst eine selbstbestimmtere und offenere Lebensweise ermöglicht. Bei jedem Wechsel an eine neue Bildungseinrichtung, Arbeitsstelle oder einen Verein ist immer wieder über ein Coming-out zu entscheiden. Trans* Jugendliche müssen zudem für sich klären, ob sie sich auf den Weg zu einer rechtlichen bzw. medizinischen Geschlechtsanpassung machen.
Forschungsprojekt „Coming-out – und dann...?“
Das DJI hat bundesweit rund 5.000 LSBT*Q Jugendliche im Alter von 14 bis 27 Jahren online zu ihren Erfahrungen befragt (Zeitraum: Juli bis September 2014). Zusätzlich wurden mit 40 jungen Menschen leitfadengestützte Interviews geführt. Die großen deutschen Jugendstudien wie beispielsweise Shell, JIM oder KiGGS erfassen die Perspektiven und Erfahrungen von LSBT*Q Jugendlichen nicht explizit und nur wenige Erhebungen gehen angemessen auf ihre Lebenssituation ein.
Acht von zehn Jugendlichen erleben Diskriminierung
Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen gaben im Rahmen der DJI-Studie an, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Zugehörigkeit bereits an irgendeinem Ort diskriminiert wurden. Am häufigsten machen sie diese Erfahrungen in der Öffentlichkeit (51 Prozent), etwa im Bus, auf der Straße, im Schwimmbad oder Supermarkt. Mehr als ein Drittel der Befragten berichtet explizit von sexuellen Belästigungen und Beleidigungen in der Öffentlichkeit.
Auch in der Familie, in Schule, Ausbildung und Beruf sowie im Freundeskreis macht fast die Hälfte der LSBT*Q Jugendlichen negative Erfahrungen. In der Schule und am Arbeitsplatz sind sie teils Spott, Beleidigungen und Beschimpfungen ausgesetzt, teils werden sie ausgegrenzt oder sogar körperlich angegriffen (siehe Abbildung).
In der Familie sind die Jugendlichen vor allem damit konfrontiert, dass ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Zugehörigkeit nicht ernst genommen, ignoriert oder nicht mitgedacht wird. Allerdings ergänzen viele Jugendliche, ihre Eltern hätten sich nach einer gewissen Zeit an ihre LSBT*Q Lebensweise gewöhnt und akzeptierten diese.
Auch im Freundeskreis kommt es neben vielen positiven Erfahrungen zu Diskriminierungen. Entweder wird die geschlechtliche und sexuelle Identität zu stark betont oder nicht ernst genommen. Zudem machen die Jugendlichen bei Freund_innen häufiger als in der Schule oder in der Familie die Erfahrung, gegen ihren Willen geoutet zu werden.
Einem Teil der Jugendlichen gelingt es, negative Erfahrungen konstruktiv zu verarbeiten. Dabei ist der Rückhalt durch Freund_innen wichtig. Auch das Internet spielt eine bedeutende Rolle, um sich anonym auszutauschen, zu vernetzen und zu informieren – zum Beispiel über LSBT*Q Beratungs- und Freizeitangebote.
Eine zentrale Strategie im Umgang mit befürchteter Diskriminierung ist jedoch Vermeidung und Verzicht: So nehmen zwei Drittel der befragten Jugendlichen nicht am Vereinssport teil. Der 13. Sportbericht der Bundesregierung von 2014, der alle Jugendlichen einbezieht, weist einen deutlich niedrigeren Wert aus: Demnach nehmen während der Adoleszenz nur 44 Prozent nicht am Vereinssport teil.
Bis zum äußeren Coming-out vergehen meist mehrere Jahre. Aus Angst vor möglicher Ablehnung versuchen die Jugendlichen zunächst ihr Empfinden zu unterdrücken und ziehen sich sozial zurück. Dies kann mitunter zu psychischen Erkrankungen wie etwa Depressionen führen.
Die Bewusstwerdung der sexuellen Orientierung beginnt meist zwischen dem 13. und dem 16. Lebensjahr. Mit der geschlechtlichen Zugehörigkeit setzen sich die Heranwachsenden häufig bereits vor dem 10. Lebensjahr auseinander.
Obwohl die Angst vor Ablehnung durch Freund_innen groß ist, vertrauen sich zwei Drittel der Jugendlichen beim Coming-out zuerst einer Person aus dem Freundeskreis an. Bei nur etwas mehr als einem Fünftel sind Elternteile oder Geschwister erste Ansprechpersonen. Innerhalb der Familie spielen Mütter die wichtigste Rolle; an sie wenden sich 12 Prozent der Jugendlichen beim ersten Coming-out. Die erste Reaktion auf das Coming-out wird fast durchgehend als sehr gut oder eher gut bewertet (91 Prozent).
Orte, an denen viele Jugendliche ein Coming-out vermeiden möchten, sind religiöse Gruppen/Gemeinden, soziale Netzwerke und Sportvereine. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie dort aufgrund der heterosexuellen und binären Geschlechterordnung besonders negative Erfahrungen befürchten. Eine laufende DJI-Studie mit LSBT*Q Jugendlichen geht der Frage konkreter nach, welche Erfahrungen sie in Freizeit und Sport machen.
Eine Broschüre fasst die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Coming-out – und dann…?!“ zusammen:
Coming-out-BroschüreComing-out-Broschüre englischsprachig
Die Ergebnisse wurden außerdem in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politischen Bildung veröffentlicht:
Claudia Krell/Kerstin Oldemeier (2017): „Coming-out – und dann…?!“
Coming-out-Verläufe und Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland.