Kinder im Internet: Angebote, Nutzung und medienpädagogische Perspektiven |
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Christine Feil |
In: Diskurs 1/2000 |
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Das Internet ist noch immer eine innovative Technologie mit der weitreichende Veränderungen für Gesellschaft und Ökonomie verbunden werden. Die hohen Erwartungen an den globalen Markt werden bereits an Kinder als Qualifikationsanforderungen weitergegeben. Es erstaunt deshalb nicht, daß das Internet generell weniger als ein Element im Medienensemble der Kinder angesehen wird, denn als Arbeitsmittel, das den Erwerb grundlegender Fertigkeiten erfordert. Folglich wird es eng mit dem Lernen der Kinder in Schule und Freizeit, mit Chancengleichheit und zu fördernder »Internetkompetenz« verknüpft. Bildungspolitische Initiativen und kompensatorische Maßnahmen im Freizeitbereich sind bestrebt, möglichst allen Kindern die Chance zu eröffnen, sich mit dem Internet früh- bzw. rechtzeitig vertraut zu machen. Wie ist es jedoch gegenwärtig um den Zugang der Kinder zum Internet bestellt? Wie nutzen Kinder das Internet und werden sie dabei den Erwartungen der Erwachsenen gerecht? Der Beitrag zielt auf eine Bestandsaufnahme und Kommentierung vorliegender empirischer Studien zur Internetnutzung von Kindern ab dem 6. Lebensjahr in Deutschland sowie auf die medienpädagogische Bewertung einiger Ergebnisse. In ergänzenden Kurzartikeln stellen ProjektmitarbeiterInnen das Internetangebot für und von Kindern in Ausschnitten dar. |
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Forschungspolitische
Ausgangslage Wie eng die Entwicklung des Internet mit wirtschaftlichen Erwartungen und Interessen verknüpft ist, zeigt sich unter anderem daran, daß empirische Daten zur Internetnutzung von Kindern zuallererst von Marktforschungsinstituten und Medienforschungsgruppen der Fernsehanbieter erhoben wurden. Deren Forschungsinteresse orientiert sich einerseits an der Eignung des Internet als Werbe- und Verkaufsfläche oder »Marketingtool« und andererseits am konkurrierenden Einfluß des Internet auf die Nutzung klassischer Medien. In universitären Einrichtungen sind repräsentative Untersuchungen zur Internetnutzung der Kinder noch rar (vgl. z.B. Neue und alte Medien 1999). Auch qualitative Forschungsdesigns zu Fragestellungen, die den beobachtbaren Umgang der Kinder mit dem Internet, ihr Navigationsverhalten im WWW, ihre Wahrnehmungs-, Selektions- und Verarbeitungsstrategien, ihr Kommunikationsverhalten bei der Nutzung von E-Mail, Chats und Newsgroups analysieren, sind noch selten (vgl. Gehle 1998 sowie die Beiträge von Aufenanger und Orthmann jeweils in Diskurs 1/2000). Neuerdings geben die großen Anbieter von Websites für Kinder, die wiederum in der Fernsehlandschaft verankert sind, Studien in Auftrag, um das Surfverhalten der Kinder und die »Einschaltquote« ihres Angebots zu erkunden, denn der Konkurrenzdruck und das Interesse, Kinder an die eigene Website zu binden, sind nicht zuletzt wegen der zu legitimierenden Kosten hoch (vgl. für das SWR-Kindernetz: Stampfel/Grajczyk 1999; für Super RTL: Internet-Kids 2000). |
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Vor dem Hintergrund, daß die Zahl der erwachsenen Online- bzw. Internetanwender in Deutschland seit Anfang 1997 von 4,1 Millionen auf 11,2 Millionen bis Mitte 1999 angestiegen ist (vgl. ARD/ZDF-Arbeitsgruppe Multimedia 1999, S. 401), stehen auch in der Kinderforschung die Fragen im Mittelpunkt: Welche Kinder haben an welchen Orten, mit welchen Personen, mit welchen Interessen Zugang zum Netz? Michael Schmidbauer und Paul Löhr, die zu den versiertesten Rechercheuren und Dokumentatoren auf dem Gebiet der Kindermedien und Medienpädagogik mit Kindern gehören, beklagten Ende 1998: »Weder hierzulande noch anderswo sind Studien aufzutreiben, deren Ergebnisse zumindest die Fragen beantworten könnten: Wie umfangreich ist die Gruppe der Kinder, die einen Internet-Zugang haben und diesen auch nutzen? Welchen Internet-Angeboten widmen sich die Kinder vornehmlich? Sprechen diese Angebote die Spiel- und Lerninteressen der Kinder in besonderer Weise an? Sind die Bedenken berechtigt, die Eltern, Pädagogen, Politiker und, nicht zu vergessen, der Jugendschutz gegen den Umgang der Kinder mit dem Internet und seinen Offerten vorbringen?« (Schmidbauer/Löhr 1998, S. 4). Die Autoren schätzten damals, daß wohl nicht mehr als ein halbes Prozent der 8- bis 11jährigen häufig im Internet anzutreffen seien. Sie führten die Forschungslücke darauf zurück, daß einerseits die geringe Anzahl der interneterfahrenen Kinder dem Thema die forschungspolitische Brisanz nähme und andererseits die Forscher der immerwährenden alten Fragen an ein neues Medium überdrüssig seien, die sich auf Gefahren und Nutzen, sinnvollen Umgang und zu erwerbende Kompetenzen konzentrierten. Die Situation hat sich seither nicht grundlegend verändert. Heute werden Kinder aber, unabhängig von der kommerziellen oder nicht-kommerziellen Orientierung der Institute, in Befragungen zur Nutzung eines gesamten Medienensembles immerhin auch nach ihren Interneterfahrungen befragt. Bei der Auswertung der Teilpopulation der interneterfahrenen Kinder sind jedoch die Fallzahlen so gering, daß auf detaillierte quantitative Analysen bei den jüngeren Altersgruppen verzichtet werden muß. Deshalb liegen gerade für Kinder zwischen 6 und 10 bis 12 Jahren nur die einfachsten Basisdaten vor.
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Wie viele Kinder haben einen PC und Internetzugang? In den meisten Studien wird davon ausgegangen, daß insbesondere bei jüngeren Kindern der Medienumgang von der Medienausstattung des elterlichen Haushalts abhängig ist. Im Zusammenhang mit der Internetnutzung ist dann wichtig, ob ein Haushalt über einen PC verfügt, die Kinder zu ihm Zugang haben und ob ein Modem bzw. Internetanschluß vorhanden ist. Obwohl die Daten der repräsentativen Untersuchungen auf der Basis unterschiedlicher Altersspannen gewonnen werden, kann festgehalten werden, daß ca. 50 % der Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 17 Jahren im elterlichen Haushalt Zugang zum PC haben. In der Altersgruppe der 6- bis 13jährigen verfügen bereits ca. 13 % der Kinder über einen eigenen Computer (vgl. KIM '99), bei den 6- bis 17jährigen steigt der Anteil auf ca. 20% an (vgl. KVA 1998, 13-3; KIM '99; Neue und alte Medien 1999, K14, S. 25). Die meisten Computer im Privatbereich sind jedoch für einen Besuch des Internet nicht ausgestattet. In der Studie »Neue und alte Medien im Alltag der Kinder und Jugendlichen« wurde auf Basis der 1997 erhobenen Daten festgestellt, daß 9 % der Computer in den Familienhaushalten einen Internetzugang hatten und lediglich 1 % der Computer, die im Besitz von Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 17 Jahren waren (ebd. 1999, S. 23). Auch wenn die Anzahl der erwachsenen Internetanwender in rasantem Tempo steigt, scheint sich der Trend zum Netzzugang in der Medienausstattung von Haushalten, in denen jüngere Kinder leben, nur mit gebremster Kraft durchzusetzen. Die Zahlen sind zwar ansteigend, aber nach den Erhebungen des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest verfügten auch 1999 laut Angaben der Erziehungspersonen erst 8 % der Haushalte mit Kindern zwischen 6 und 13 Jahren über einen Online-Anschluß. Notwendigerweise ist deshalb die Anzahl der Kinder mit Interneterfahrung in der jüngsten Altersgruppe zwischen 6 und 8 Jahren sehr gering, da diese überwiegend nur zu Hause oder auch am Arbeitsplatz der Eltern Zugang zum Internet erhalten. Bei den 9- bis 11jährigen spielt der Anschluß im Haushalt der Freunde, bei den 12- bis 14jährigen dagegen in der Schule und im Internet-Café – das es zunehmend auch für Kinder auf nicht-kommerzieller Basis gibt – als Zugangsort eine bedeutendere Rolle (vgl. Neue und alte Medien 1999, S. 45). |
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Für Eltern kann dies bedeuten, daß nicht nur mit der zunehmenden Anzahl interneterfahrener Kinder, sondern auch durch Schule und Freizeitinstitutionen der soziale Druck steigt, ihren Kindern den Netzzugang zu ermöglichen. Denn bei der Computerbeschaffung zeigt sich bereits das Phänomen, daß selbst medienskeptische Eltern – nach den Aussagen der Marktforschung – unter Kaufzwang stehen: »Der Computer wird akzeptiert als zu unserer Zeit gehörig, und ging es früher eher darum, daß Eltern ihren Kindern per Computer einen Startvorteil verschaffen wollten, ist es heute eher so, daß die Eltern einen Startnachteil vermeiden wollen« (Mulitmedia Youth '99, S. 19). Spätestens nachdem der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I vollzogen ist, hält der PC Einzug ins Kinderzimmer, denn etwa im 11. Lebensjahr steigt die Zahl der Computerbesitzer unter den Kindern sprunghaft an. Nahezu übereinstimmend zeichnet sich der Trend ab, daß die 12- bis 14jährigen unter den Kindern am häufigsten die Möglichkeit haben, zu Hause einen Computer zu nutzen, weil in dieser Altersgruppe der Computerbesitz der Kinder mit dem der Eltern kumuliert (vgl. Multimedia Youth '99). Beim Internet wird sich die Sorge der medienkritischen Eltern um die Zukunft ihres Kindes vermutlich wiederholen, denn wiederum wird das Internet aus Konkurrenzgründen beschafft: »Die oft leistungsorientierten Eltern versprechen sich für ihre Internet-Kids bessere Chancen in der Ausbildung und beruflichen Zukunft und geben deshalb ihr >Ja< zum Internet-Anschluß und bezahlen die Surfabenteuer ihrer Kinder.« (Internet-Kids 2000, S. 1) Unter dem Aspekt der Lebensperspektiven in einer Kommunikations- und Informationsgesellschaft wird demnach das Problem der Chancengleichheit von Kindern auf eigentümliche Weise reformuliert, denn die soziale Schere wird weniger vor dem Hintergrund tatsächlicher sozialer Ungleichheit als vielmehr vor dem potentieller technologischer Entwicklungen reflektiert: Wenn Eltern einen Computer kaufen, damit ihr Kind den Anschluß nicht verliert, zeugt dies einerseits vom Mißtrauen in die Qualifikationsleistungen des Bildungssystems und andererseits vom sozialen Druck, den ein bereits computerisierter Alltag im Umfeld ihrer Kinder ausübt. So mag sich der Anspruch, mit den Entwicklungen Schritt zu halten, an der Verfügung der Kinder über einen Computer mit Analog-Modem oder ISDN-Karte materialisieren, auch wenn im Medienalltag der Computer nicht nur das Lernen der Kinder, sondern auch den Lerninhalt weitgehend auf das Handling des Geräts oder des Computerspiels reduziert und im Internet weniger nach Information als vielmehr nach Spiel, Spaß und Spannung gesucht wird. Nun eilt dem Internet, ganz jenseits dessen, was der kindliche und erwachsene »Anwender« mit ihm tut, sein guter Ruf voraus. Obwohl vielfach als Müllhaufen charakterisiert, steht es dennoch für Wissen, Information, Kommunikation. Es verspricht zudem ungeahnte technologische, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungschancen. Das Internet repräsentiert weltweit verknüpftes Wissen, das zu jeder Zeit und an jedem Ort abrufbar ist. Als Informationsressource ist ihm von vornherein – trotz einer ganzen Reihe an Kinder- und Jugendschutzproblemen – hohe pädagogische Akzeptanz garantiert: Im Unterschied zu den anderen Medien setzt es per se den aktiven Nutzer voraus, der in der Lage ist, nicht nur einen Computer zu bedienen, sondern sich im World Wide Web zu orientieren, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, Interessantes aufzuspüren und nach Bedarf auch wiederzufinden. In diesem Zusammenhang kehrt das Thema Chancengleichheit zu seinem Kern, den Zugangsmöglichkeiten von Kindern zum allgemeinen, gesellschaftlichen Wissen und ihrer Teilhabe an ihm zurück. In Schule und Freizeitpädagogik entstehen vor diesem Hintergrund sowohl groß angelegte als auch kleine Initiativen, die darauf zielen, die Kinder für eine Zukunft mit dem Internet »fit« zu machen, und die zudem versuchen, den Ausschluß von Kindern von Wissen und Information zu verhindern. Die sozialen Hürden sind hoch, ein heimischer Internetzugang erfordert nicht nur die notwendige Geräteausstattung, sondern auch die Begleichung der laufenden Kosten. Darüber hinaus sind die Kinder – auch dies unterscheidet das Internet von anderen Medien wie dem Fernseher oder Kassettenrecorder – weitgehend auf Hilfe und Unterstützung interneterfahrener Eltern (oder Geschwister) angewiesen. |
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Interneterfahrene Kinder sind
eine kleine Minderheit Angesichts der Medienausstattung der Haushalte ist es wenig erstaunlich, daß in allen Untersuchungsberichten festgehalten wird, daß nur ein sehr geringer Teil der Kinder, die einen Computer nutzen, ins Internet geht. Auch wenn Zugangsmöglichkeiten außer Haus bestehen und viele Kinder gerne mal ins Internet schauen würden, ändert sich nichts an der Tatsache, daß das Internet noch kein Alltagsmedium für Kinder ist: »Für die meisten der Kinder und Jugendlichen ist das Internet zur Zeit noch so eine Art Wundertüte: Keiner weiß so ganz genau, was drin ist, aber jeder möchte gerne reinschauen« (Multimedia Youth 1999, S. 46). In der Studie »Neue und alte Medien« (1999) wurden Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren gefragt, ob und auf welche Weise sie Kenntnis vom Internet haben. 12 % aller befragten Kinder und Jugendlichen gaben an, das Internet bereits selbst genutzt zu haben, 13 % haben es nur gesehen, 43 % haben davon gehört, es aber nie genutzt oder gesehen und 32 % aller befragten Kinder und Jugendlichen war das Internet unbekannt. Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Kindern und Jugendlichen wurden nicht festgestellt, aber zwischen Mädchen und Jungen. Mädchen ist das Internet eher unbekannt, sie haben es seltener gesehen oder genutzt als Jungen. Es sind vor allem die Jugendlichen, die den Löwenanteil der Interneterfahrenen stellen, während sich bei den Kindern das Internet als Medium noch kaum etabliert hat (vgl. Abb. 1). |
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Auch andere Untersuchungen machen deutlich, daß das Internet erst auf dem Weg ist, ein Alltagsmedium für
Kinder zu werden. Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest hält fest: »Gerade vier
Prozent der computererfahrenen Kinder geben an, mindestens einmal pro Woche im Internet zu surfen, weitere neun
Prozent sind seltener als einmal pro Woche online (was 6 % aller Kinder entspricht)« (KIM '99, S. 3). Die
Nutzung des Internet durch Kinder ist noch derart selten, daß bei den Auswertungen auf Nutzungszeiträume
wie beispielsweise »mindestens einmal im Monat« zurückgegriffen wird, um überhaupt nach Altersgruppen
spezifizieren zu können. Obwohl die Ergebnisse stark variieren und wegen des Alterszuschnitts und der unterschiedlich
gewählten Basis kaum vergleichbar sind, zeichnet sich als Tendenz ab, daß das Einstiegsalter etwa bei
10 Jahren liegt. Jungen starten etwas früher ins Internet als Mädchen, letztere entwickeln aber mit zunehmenden
Alter ein fast gleichermaßen starkes Interesse für das Internet. Der Vollständigkeit halber werden hier die unterschiedlichen Daten angeführt: In der Studie KIM '99 liegen den errechneten Zahlen die PC-Nutzer als Basis zugrunde. Demnach nutzen – auch wenn nur selten – 3 % der 6- bis 7jährigen, 5 % der 8- bis 9jährigen, 13 % der 10- bis 11jährigen und 23 % der 12- bis 13jährigen das Internet. Sowohl das Institut für Jugendforschung als auch iconkids & youth international research rechnen getrennt nach Mädchen und Jungen. Das IJF kommt auf der Basis Computernutzer bei den 6- bis 8jährigen Kindern auf eine Nutzerquote von 13 % bei den Jungen und von 4 % bei den Mädchen; iconkids & youth rechnet auf die Altersgruppe hoch – demnach haben jeweils 2 % der Jungen und Mädchen in der Altersgruppe der 6- bis 8jährigen Kinder Interneterfahrung. Ähnliche Differenzen sind bei der ebenfalls noch zu den jüngeren zu zählenden Altersgruppe der 9- bis 11jährigen zu entdecken: KICS (1999, S. 19) zählt 22 % der Jungen und 16 % der Mädchen zu den Interneterfahrenen, während Multimedia Youth (1999, S. 39) 15 % bzw. 8 % ausweist. In den höheren Altersgruppen scheinen schon allein aufgrund der Fallzahlen bzw. des allgemein hohen PC-Besitzes die Ergebnisse zuverlässiger zu sein: Etwa jedes vierte 12- bis 14jährige Kind, das einen Computer nutzt, war schon mal im Internet (vgl. auch Feierabend / Klingler 1999, S. 621). In Erhebungen zu den Freizeitinteressen von Kindern der Klassen vier bis sechs ergibt sich aus der Grundauszählung, daß 22 % der Mädchen und 37 % der Jungen angaben, in ihrer Freizeit gerne im Internet zu surfen (Projekt »Lebenswelten als Lernwelten« 1999). Vor dem Hintergrund der anderen hier referierten Ergebnisse, sind diese Zahlen kritisch zu prüfen. Möglicherweise stehen sie nicht für eine regelmäßige Internetnutzung, sondern spiegeln die Attraktivität des Mediums wider. Das Transferzentrum Publizistik und Kommunikation, das für Super RTL bei 120 interneterfahrenen Kindern Daten erhoben hat, stellt im Februar 2000 nahezu für alle Studien fest: »Man findet derzeit Internet-Kids unter 9 Jahren noch selten, ab 10 Jahren steigen die Chancen an, jedoch erst ab 13/14 Jahre kann vorsichtig von einer >Surf-Generation< gesprochen werden« (Internet-Kids 2000, S. 2). |
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Als Beispiel und Anhaltspunkt für die Verteilung nach Geschlecht können hier die Daten, die iconkids & youth – bezogen auf die Basis aller Kinder – in der jeweiligen Altersgruppen errechnet hat, dienen: | |||||||||||||
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Diese Zahlen scheinen mädchenspezifische Internetprojekte zu rechtfertigen, wobei aber auch bei den Jungen
nur in Einzelfällen von einer entwickelten Internetkompetenz ausgegangen werden kann. Die Kontakthäufigkeit
der Kinder, gleichgültig ob Junge oder Mädchen, ist durchschnittlich viel zu gering, um spezifische Kompetenzen
zu erwerben, wozu etwa die strategische Suche, gezielte Selektion und Navigation, Kenntnis über die Informationsquellen
und deren Vernetzung sowie ein interessengeleiteter Umgang mit den interaktiven Möglichkeiten des Netzes gehören.
Die meisten der interneterfahrenen Kinder gehen einmal pro Monat oder seltener ins Netz. Die Nutzungsdauer pro
Tag beträgt aufgrund der geringen Nutzungshäufigkeit – selbst dann, wenn man die höheren Altersgruppen
hinzunimmt – bei den 9- bis 17jährigen durchschnittlich lediglich 6 Minuten. Zum Vergleich: Auf Basis der
Nutzer des jeweiligen Mediums sieht die gleiche Altersgruppe pro Tag durchschnittlich 104 Minuten fern, hört
68 Minuten Radio, 59 Minuten Musik (MC/CD) und liest 21 Minuten in einem Buch (vgl. Neue und alte Medien 1999,
S. 47 und S. 28). Auch die Ergebnisse aus der Untersuchung von 9- bis 14jährigen »Internet-Kids«,
bei der auf Repräsentativität zugunsten von Einzelfallanalysen verzichtet wurde, sind hinsichtlich der
Häufigkeit und Dauer der Internetnutzung wenig spektakulär: Kinder gehen ein- bis zweimal wöchentlich
für ca. 30 Minuten ins Netz, die Nutzungshäufigkeit steigt mit der Erfahrung auf drei- bis viermal wöchentlich
an. »Nur jene Kinder, die sich systematisch mit den Möglichkeiten im Internet beschäftigt haben,
verlängern ihre gezielten Surfaktivitäten auf eine Stunde und mehr pro Sitzung. Andere kommen über
die chaotischen Besuche nie hinaus« (Internet-Kids 2000, S. 2). |
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Was tun Kinder im Internet? Kinder nutzen nahezu alle Dienste, die das Internet ausmachen: Sie surfen, chatten, mailen – nur kinderspezifische Newsgroups gibt es noch selten. Kinder gestalten das Web aktiv mit, sie hinterlassen in Schreibwerkstätten, in Gästebüchern, auf Pinnwänden ihre Spuren, sie beteiligen sich an Diskussionsforen und sie gestalten eigene Hompepages, zumeist dann, wenn die Provider diese kostenlos an Kinder offerieren, und Erwachsene das Vorhaben der Kinder unterstützend begleiten (vgl. Stampfel/Grajcyk 1999). |
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Der Schwerpunkt der Internetnutzung liegt bei den jüngeren Kindern notwendigerweise auf dem Surfen und Spielen, da sie noch nicht über hinreichende Schreib- und Lesefertigkeiten verfügen, die man für die Kommunikation im Netz benötigt. Dies gilt selbstverständlich auch für die Nutzung des Internet als Informationsquelle, der für Kinder etwa ab dem 12. Lebensjahr wachsende Bedeutung zukommt. Eindeutig altersabhängig ist das Mailen, das ebenfalls mit steigendem Alter an Relevanz gewinnt. Hier zeigen sich auch geschlechtsspezifische Differenzen: Mädchen mailen häufiger als Jungen, während diese tendenziell Spiele präferieren (vgl. Neue und alte Medien 1999, K 39 , S. 46; KICS '99, Chart 24 und 25). |
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Alle Daten sind nicht nur aufgrund ihrer kleinen Basis, sondern auch aufgrund der prozentualen Besetzung der Zellen mit größter Vorsicht zu interpretieren. Gerade die jüngeren Kinder scheinen nicht genau angeben zu können, was sie im Internet machen: Obwohl die Variablen in etwa alle Aktivitäten abdecken, die im Internet möglich sind, ist in der Studie »Neue und alte Medien« (1999) die Kategorie »anderes« bei den 6- bis 8jährigen mit 42 % besetzt, sie fällt mit zunehmendem Alter auf 26 % bei den 9- bis 11jährigen, auf 17 % bei den 12- bis 14jährigen und auf 10 % bei den 15- bis 17jährigen ab (vgl. ebenda K 39; S. 46). In der Studie KICS '99 zeigt sich dieses Problem ebenfalls, aber auf völlig andere Weise. Dort wurden die 6- bis 14jährigen nach ihren Lieblingsseiten befragt. Die 6- bis 8jährigen und die 9- bis 11jährigen präferieren demnach http://www.kinderkanal.de, aber der Kinderkanal ist eher eine Online-Programmzeitschrift denn ein Angebot für Kinder. Vermutlich kennen die Kinder die Adresse aufgrund der unentwegten Hinweise während und nach den Sendungen. 12- bis 14jährige nennen http://www.diddl.de, eine virtuelle Seite zu einem Produkt mit erheblicher realer Präsenz auf Heften, Schultaschen u.ä.m. Die kinderspezifischen Angebote im World Wide Web, die es in zunehmendem Umfang gibt, sind demnach bei den Kindern noch nicht angekommen. Dies hat weniger mit deren mangelnden Attraktivität zu tun, als vielmehr damit, daß Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren nicht in der Lage sind, mit den Suchmaschinen im Internet umzugehen. Die Systematik der Portalseiten, die Rubriken und Stichwortkombinationen verlangen ein relativ ausgebildetes Abstraktionsvermögen, um zu verwertbaren Suchergebnissen zu kommen. Da bloßes Rumklicken nur zufällig zu interessanten Websites führt, handhaben Kinder das World Wide Web auf eine Weise, die mit dem Begriff »Surfen« mehr als unzutreffend beschrieben ist: »Fündig werden sie meistens nach dem Muster www.name.de/com, sie verwenden dabei Begriffe aus dem alltäglichen Umfeld – Marken, Verpackungsangaben, beliebte Figuren und Personen aus der Medienwelt, Stars, Fernsehsender usw. Immer wieder verlieren sie sich in den Weiten des Netzes und müssen erfolglos in ihre Browservoreinstellung zurückkehren« (Internet-Kids 2000, S. 1). Sollten weitere Studien diese »Suchstrategie« von Kindern im Internet bestätigen, dann relativiert sich einmal mehr die These, wonach die medien- bzw. computerkompetente Kindergeneration in Sachen neue Technologien den Erwachsenen überlegen ist. |
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Kinder benötigen Unterstützung durch Erwachsene | |||||||||||||
Die Nutzung des Internet bzw. des Browser setzt nach dem gegenwärtigen Entwicklungsstand hohe Computerkompetenz voraus: Bloß »schon drin« zu sein, wie Boris Becker in Fernsehspots dem lachenden Publikum versichert, nützt wenig, wenn Kinder nicht in der Lage sind, Audio-, Video- und Textdateien herunterzuladen und auf dem eigenen Computer wiederzufinden, wenn benötigte Zusatzprogramme auf einer Firmenhomepage gesucht, auf dem Computer installiert und manchmal gar konfiguriert werden müssen. Erschwerend kommt hinzu, daß nicht nur weitgehende Sicherheit in den Basisqualifikationen Lesen und Schreiben, sondern auch rudimentäre Englischkenntnisse erforderlich sind, da selbst die deutschen Angebote für Kinder häufig in Englisch getitelt werden: »fun-online«, »kids-online«, »3dimencity«. Nach Gehör »fanonlein« in die Suchmaschine oder ins Adressierfeld getippt, führt zu enttäuschenden Ergebnissen, wobei die Kinder nicht in der Lage sind, die Fehlerquelle zu erkennen. Es ist deshalb wenig erstaunlich, daß 60 % der Kinder zwischen 6 und 14 Jahren angeben, Hilfe beim Umgang mit dem Internet zu benötigen. 35 % der Kinder und Jugendlichen erhalten diese von ihren Eltern, 19 % von ihren Freunden, 10 % von ihren Geschwistern, 4 % von anderen Verwandten und lediglich 2 % von Lehrkräften (vgl. KICS '99, Chart 21). Orientierungsprobleme im Internet scheinen auch unter älteren Jugendlichen verbreitet zu sein. In einer amerikanischen Beobachtungsstudie zum Navigationsverhalten von Schülern, die bereits die Highschool besuchen, wird z.B. festgehalten, daß die Schüler kaum in der Lage seien, das Internet als Informationsmedium zu nutzen, weil sie weder über Suchstrategien verfügten noch Kenntnis davon hätten, wie Informationen ins Internet gelangten (vgl. Fidel u.a. 1999). Dieses Ergebnis ist ein Hinweis darauf, daß der unbefangene Umgang der Kinder mit dem Medium nicht mit Medien- bzw. Internetkompetenz verwechselt werden sollte. Ein erheblicher Schulungsbedarf für einen adäquaten und kritischen Internetumgang ist nicht nur bei Kindern, sondern auch bei vielen Eltern und Lehrkräften zu vermuten. Schließlich ist das Internet in Deutschland noch »im Kommen«. Der Markt reagiert darauf mit dem alten Medium Buch – eine stattliche Anzahl von Internet-Ratgebern für Kinder, Eltern und Lehrkräfte wird angeboten. Ob Kinder jedoch in der Lage sind, diese Bücher ohne Hilfe von Erwachsenen oder ohne technische Vorkenntnisse zu nutzen, ist eher zweifelhaft, da auch ein Internetführer für Kinder nicht ohne Fachsprache und englisches Vokabular auskommt. |
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Ein medienpädagogischer
Blick ins Internet Da das Internet für Globalisierung sowie für den Wandel der Gesellschaft zur Informations- und Kommunikationsgesellschaft steht, verfolgt die Medienpädagogik heute primär das Ziel, Kinder auf eine Zukunft mit qualitativ neuen Anforderungen vorzubereiten. Dabei geht es zunächst darum, ihnen überhaupt einen Zugang zum Internet zu verschaffen. Beim Surfen durch das deutsche Webangebot für Kinder kann festgestellt werden, daß die medienpädagogischen Aufgaben vielfältig sind: Bislang wird Kommunikation groß-, Information eher kleingeschrieben: Die Einträge in den Gästebüchern schwellen an, biographische Steckbriefe werden ins Netz gestellt, Kleinanzeigen von Gesucht-Gefunden bis zur E-Mail-Brieffreundschaft werden an virtuelle Pinnwände geheftet, im Chat wird rumgeblödelt, geflirtet und kaum diskutiert. Sachthemen, aufbereitet für Kinder, sind in deutscher Sprache selten zu finden. Selbst vielversprechende und Kindern oft empfohlene Adressen, die zum Beispiel zu Museen, Zoos oder klassischer Kinderkultur führen, lassen weithin ein Desinteresse an verständlichen Informationen für Kinder erkennen und signalisieren mithin einen erheblichen Beratungsbedarf. Damit Kinder das Internet mit all seinen Funktionen nutzen können, werden Moderatoren im virtuellen Raum benötigt, welche einerseits die Kommunikation der Kinder »live« begleiten und andererseits »geschützte« Kommunikationsräume für Kinder anbieten. |
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Nicht zuletzt werden Fragen des Kinder- und Jugendschutzes im Internet, die sich bislang nur auf Pornographie und Volksverhetzung konzentrieren, umfassender diskutiert werden müssen: Das Internet ist eine riesige multimediale Werbe- und Verkaufsfläche, von der die gesamte Internetgemeinde profitieren will. Wer schon selbst nichts zu verkaufen hat, nutzt zumindest Websites und Gästebücher, die von den Providern kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Sponsoring und Provisionsangebote sind marketingstrategisch vielversprechend: Sie werden nachgefragt, weil sie einerseits die Internetkosten für private Anbieter minimieren und andererseits ein – wenn auch nur potentielles – Geschäft versprechen (sog. benefitting). Die Folge davon ist, daß auf nicht-kommerziellen Kinderseiten und Webringen sowie auf den »Homepages« von Kindern »Bannerwerbung« zu finden ist. Es handelt sich dabei um Werbeflächen mit Links zur werbenden Firma, oft gezielt zu den großen Handelsketten mit Waren für Kinder (z.B. http://www.myToys.de). Falls mit wechselnden bzw. dynamisch austauschbaren Werbeeinblendungen gearbeitet wird (»Bannerrotation«), führt ein »Klick« in das Feld auch schon mal zu nicht gerade jugendfreien Angeboten. Der Link auf den virtuellen Buchladen amazon.de hat sich beinahe wie ein Bazillus auf dem deutschen Webangebot verbreitet und läßt nicht nur auf »Brandmarketing«, sondern auch auf Monopolisierungsversuche schließen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie sich Gesellschaft und Politik auch unter Gesichtspunkten des Kinder- und Jugendschutzes zu den wirtschaftlichen Interessen im und mit dem Internet verhalten will. Denn selbstverständlich gehört es zu den Aufgaben der oben zitierten Marktforschungsinstitute, ihre Daten im Kontext des Kinder- und Jugendmarktes zu interpretieren und ihren Auftraggebern Hilfestellung für ihren »Auftritt« im Netz zu geben. Um das Problem zumindest ansatzweise anzudeuten, seien einige ausgewählte »Basisanforderungen« für kommerzielle Websites genannt: »Greifen Sie die Core Needs der jeweiligen Altersgruppe auf und nutzen Sie diese, um für Ihr Angebot Relevanz zu erzeugen.« »Etwas Pädagogik kann nicht schaden – insbesondere bei Jüngeren. Kinder brauchen Argumente gegenüber ihren Eltern.« »Insbesondere bei Kindern: Nette Presenterfiguren helfen Sympathie zu schaffen.« »Rechnen Sie aber damit, daß die meisten nur schauen wollen. Liefern Sie Inspirationen für den Kauf, erzeugen Sie konkretes Interesse. Nennen Sie Adressen von Geschäften für den realen Kauf.« (Multimedia Youth '99, S. 57 - 61) Moralische Empörung über das marketingtechnische Kalkulieren mit Kindern ist in einer Gesellschaft unangebracht, die Kinder schon längst als Marktfaktor akzeptiert und hofiert. Das Internet ist lediglich ein weiterer entwicklungsfähiger Baustein im Medienverbundsystem, der Pädagogen herausfordert, hinter dem virtuellen Raum die ökonomische Realität zur Kenntnis zu nehmen. Die Anarchie des Internet ist durch seine Eingemeindung in die Sphäre des Geschäft längst gezähmt: Spätestens seit öffentlich wurde, daß Computer, die von einem Prozessor des Typus Intel Pentium III »behaust« sind, serienmäßig mit »Raum« für Personenprofile und Wirtschaftsspionage ausgestattet sind (vgl. z.B. Persson, in: c't 1999, S. 16), ist klar, daß die Kommunikation im globalen Netz auch an die politische Leine gelegt werden kann. Kinder müssen demnach nicht nur auf den Umgang mit der neuen Technologie vorbereitet werden, sondern vor allem auf die kritische Auseinandersetzung mit seinen Inhalten und der Technik, die diese transportiert: Das Internet konfrontiert MedienpädagogInnen somit nicht nur mit neuen, sondern auch mit ihren genuinen und alten Aufgaben. | ||||||||||||
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Literatur
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© Deutsches Jugendinstitut e.V. 2000 |