Berichte

 DJI BULLETIN Nr. 73 

Winter 2005


 

Schule & Partner – Schulische Kooperationspraxis auf einen Klick

Ohne Partner geht es nicht ...

Keine Institution schafft Bildung, Erziehung und Betreuung allein – so eine Botschaft des Zwölften Kinder- und Jugendberichtes. Die Kommission empfiehlt deshalb, schulische und nicht-schulische Angebote besser aufeinander abzustimmen, die unterschiedlichen Bildungsorte und Lernwelten miteinander zu verknüpfen und deren Zusammenspiel sozialräumlich auszugestalten. Langfristiges Ziel ist der Aufbau und Ausbau kommunaler Bildungslandschaften.
Um dies einzulösen, bedarf es erster und kleiner Schritte, die aber große Wirkung haben können. Am Deutschen Jugendinstitut wird derzeit im Kontext des Investitionsprogramms des Bundes »Zukunft Bildung und Betreuung« (IZBB) ein Forschungsprojekt durchgeführt, das einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit von Schule mit externen Partnern leistet. Das Projekt »Kooperation von Schule mit außerschulischen Akteuren« umfasst den Aufbau der Datenbank »Schule & Partner – schulische Kooperationspraxis auf einen Klick« sowie eine parallel laufende qualitative Studie. Bei der Datenbank geht es um die Dokumentation von Erfahrungen der Kooperation anhand einschlägiger Beispiele einer »guten Praxis«.


Was heißt »gute Praxis«?
Wer bestimmt, was »best practice« ist? »Gute Praxis« kann nicht von oben verordnet werden, weder durch Expertenteams noch durch politische Instanzen. Sie entwickelt sich in der Schule durch Anregung und Austausch sowie durch Erfahrungen des Gelingens oder Misslingens. »Gute Praxis« entsteht vor dem Hintergrund
– unterschiedlicher Voraussetzungen und Gegebenheiten (u. a. Schulprofil, Zielgruppen, Herkunft der Schülerschaft),
– regionaler Besonderheiten,
– zur Verfügung stehender Kooperationspartner,
– personeller und materieller Ressourcen.
Eine solche Praxis zu entwickeln und zu gestalten, braucht Zeit, ferner stabile Rahmenbedingungen für ihre langfristige Erprobung.

»Gute Praxis« aus Sicht der Schulen
In einer mündlichen Befragung (an 200 Schulen) erhielten die Schulleitungen Gelegenheit, jene Beispiele auszuwählen und zu thematisieren, die für die Kooperationspraxis ihrer Schule bedeutsam sind, aber auch für andere Schulen von Interesse sein könnten. Im Mittelpunkt standen dabei nicht nur Informationen über die inhaltlich-konzeptionelle Ausrichtung der Kooperation, die beteiligten Partner (Institutionen/Berufsgruppen), die Zielgruppen und Finanzierungsmodelle, sondern auch die Erfahrungen bei der praktischen Umsetzung, ferner die erzielten Effekte sowie die Bedingungen für das gelingende Gestalten von Kooperation.
Die in der Datenbank veröffentlichten Angaben wurden von den Schulleitungen in der vorliegenden Fassung autorisiert. Der Aufbau der Datenbank ist derzeit noch nicht abgeschlossen; sie wird durch die sukzessive Aufbereitung der Datenbankeinträge in ihrem Umfang noch erweitert. Die Datenbank ist unter www.dji.de/schule-und-partner zu finden. Ziel ist, in systematischer Form dem interessierten Nutzerkreis eine breite Informationsgrundlage als Anregungspotenzial für die Gestaltung ähnlicher Kooperationsvorhaben zu bieten.

Schulische Gestaltungsfelder der Kooperation
Je nach Interesse kann der Nutzer ein Spektrum thematischer Schwerpunkte anwählen, z. B. Schulsozialarbeit (Jugendhilfe), Berufsvorbereitung, Umweltbildung/Umwelterziehung, Gesundheitserziehung, Sexualerziehung, soziales Lernen, sprachliche Förderung (Lesekompetenz), musisch-kulturelle Bildung, Sport/Bewegung, Medienerziehung/Medienkompetenz, Betreuungsangebote (Mittagstisch/Hausaufgaben/Freizeitgestaltung), regionale Netzwerkarbeit.
Neben den traditionellen Kooperationspartnern (wie Betriebe, Unternehmen, Einrichtungen der Jugendhilfe) können die Schulen auf weitere Akteure (Institutionen/Personen) zurückgreifen, um spezifische Angebote für die pädagogische Gestaltung in Anspruch zu nehmen. Im Folgenden werden Beispiele skizziert, die Aspekte von Bildung aufgreifen, wie sie auch im Zwölften Kinder- und Jugendbericht erwähnt werden:

»Lesemütter« und »Computerväter«
Eltern betätigen sich ehrenamtlich als »Lesemütter« (Lesetrainings in Kleingruppen) und »Computerväter« (Vermittlung von Medienkompetenzen), was zur Verbesserung der schulischen Leistungen durch eine stärkere individuelle Förderung führt.

»Mein Körper gehört mir«
Theatergruppen und Kulturwerkstätten greifen durch ihre Projekte in spielerischer kindgerechter Form Entwicklungsthemen der Kinder auf und stärken dadurch deren Selbstwertgefühl, beispielsweise beim Thema »Mein Körper gehört mir«. Sie unterstützen die Schule bei der Enttabuisierung sexueller Themen. Durch das Üben verbaler und genereller Abwehr bei unerwünschten Handlungen werden Formen des Missbrauchs bewusst gemacht, Selbstvertrauen gefördert sowie Einfühlungsvermögen entwickelt.

»Alt und Jung«
Träger von Alten- und Pflegeheimen beziehen Schulklassen in eine Generationen übergreifende »Senioren-Schüler-Kooperation« ein, die auf vielfältige Weise Chancen für soziales Lernen ermöglicht: Besuche von Schülerinnen und Schülern; Austausch von Lebenserinnerungen und authentischen Lebensgeschichten sowie deren Einbindung in die Unterrichtsarbeit; Milieugestaltung (Einrichtung von Aufenthaltsräumen, Wanddekorationen); Besuche und Vorführungen des Schulchores; Gestaltung von Gymnastik- und Internetkursen für Senioren.

»Gesund und munter«
Krankenkassen und Gesundheits-Initiativen unterstützen die Schule bei ihren immer wichtiger werdenden Aktivitäten zum Themenbereich »Gesundheit, Bewegung, Ernährung«. Die Kinder erleben dabei Schule auch als einen Ort zum Wohlfühlen, der sie und ihre Eltern beim Umgang mit ihrer Gesundheit (u. a. als eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen) unterstützt.

»Jugend forscht«
Universitäten, Hochschulen und Fortbildungsakademien unterstützen die Schule in Sachen Umwelt, Natur und Technik. Anhand eines Projektes zum Thema »Lebensraum Fluss« werden Veränderungen am Ökosystem Fluss erforscht und systematisch erfasst (Gütedaten des Wassers, Biologie und Chemie des Flusses, Fischfauna), ferner werden neben ökologischen auch ökonomische Aspekte untersucht wie Trinkwassergewinnung, Abwasserklärung, Nutzung der Wasserkraft sowie die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung am Fluss.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Spektrum gegenwärtiger Kooperationspraxis von Schulen. Die angeführten Beispiele belegen, dass durch die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern innovative Gestaltungspotenziale erschlossen werden, die den Erwerb von Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern fördern.

Was Schulen brauchen
Unerlässliche Bedingungen für das Gelingen sind (neben einer dauerhaften finanziellen Absicherung) einerseits das Engagement von Schulleitung und Lehrkräften sowie deren generelle Bereitschaft zur Kooperation mit außerschulischen Partnern, andererseits das Engagement zuverlässsiger, professionell arbeitender Kooperationspartner.
Wichtig ist ferner die Offenheit der außerschulischen Partner für die Belange und Ziele der Schule sowie das Interesse, im Sinne der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen gemeinsam tätig zu werden.
Das Spektrum der Qualifikation auf Seiten der Kooperationspartner muss sich sowohl auf fachliche als auch auf pädagogische Kompetenzen beziehen. Die räumliche Nähe ist eine weitere Voraussetzung für das Gelingen einer Partnerschaft.
Die Angebote müssen für die Schülerinnen und Schüler interessant sein. Traut die Schule ihnen Verantwortung zu, dann werden die Heranwachsenden von ihrer Seite aus auch Engagement zeigen.

Mit Partnern ist es zu schaffen
Die Zusammenarbeit der Schule mit außerschulischen Partnern bekommt immer mehr Gewicht, und Ganztagsschulen müssen ein umfassendes Angebot an Bildung und Betreuung zuwege bringen, denn die Schule steht heute vor der Anforderung, ein breites Spektrum an Kompetenzen zu vermitteln. Dafür aber muss Schule sich mehr öffnen. Ohne externe Partner kann sie diesem Anspruch nicht nachkommen, insbesondere wenn es darum geht, sozial gefährdete sowie bildungsferne Kinder und Jugendliche zu unterstützen bzw. zu fördern.
Die Öffnung der Schule birgt natürlich Vor- und Nachteile. Schulleitung und Lehrkräfte müssen grundsätzlich die Schultüren öffnen und außerschulischen Partnern Einblick gewähren. Schule wird zwar dadurch automatisch einer sozialen Kontrolle unterworfen, doch sie selbst sowie die Schülerinnen und Schüler können dabei nur gewinnen, denn die Komplexität der Außenwelt findet somit frühzeitig Eingang in den schulischen Raum. Kooperationspartner bringen neue Ideen und Anregungen mit, ferner neue Konzepte und Inhalte sowie neue Lernwelten und Lernmethoden, was die pädagogische Qualität der Schule steigern sowie die Leistungen der Schülerinnen und Schüler fördern kann. Schule verliert dadurch das Kennzeichen einer vorrangig simulierten Lernwelt sowie eines Mangels an Ernstcharakter sozialer Erfahrungen, was der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht der Schule vorhält.

Wenn Schule sich öffnet ...
Die Öffnung der Schule insgesamt bringt eine kreative Unruhe mit sich, die von allen erst einmal gemeistert werden muss, beispielsweise vorhandene Berührungsängste in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen zu überwinden. Die Öffnung der Schule erhöht einerseits die Motivation für alle Beteiligten, sich auf neue Erfahrungen einzulassen und aktiv neue Wege zu gehen, andererseits findet sie aber auch ihre Grenzen in der damit verbundenen Mehrbelastung von Kollegien und Schulleitungen. Doch insgesamt profilieren sich Schulen durch Öffnung und Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern, was das Prestige bzw. den Ruf sowie die Attraktivität der jeweiligen Schule in der Öffentlichkeit steigern kann.

Christine Preiß


Projekt: Kooperation von Schule mit außerschulischen Akteuren.
Dokumentationsstrang (Datenbank): Schule & Partner – Schulische Kooperationspraxis auf einen Klick (www.dji.de/schule-und-partner)
Forschungsstrang: Qualitative Analyse der Angebotsentwicklung im Kontext der Kooperation mit außerschulischen Partnern und deren Wirkung auf beteiligte Personen und Institutionen
Laufzeit: 01.03.2004–31.12.2006
Auftraggeber: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Methoden: Dokumentationsstrang (Datenbank): Schriftliche Erhebung an 1.000 Schulen; Befragung von Schulleitungen (bundesweit 200 Schulen), teilstandardisierte, leitfadengestützte Interviews
Forschungsstrang: qualitative Studie (19 Schulen); leitfadengestützte Interviews (Schulleiter, Lehrkräfte, Kooperationspartner, Schülerinnen und Schüler)
Durchführung: Datenbank: Andrea Behr-Heintze, Christine Preiß, Forschungsstrang: Dr. Jens Lipski, Nadine Pautz, Dr. Peter Wahler, Projektbetreuung: Maren Isermann
Kontakt: Andrea Behr-Heintze, Tel. 089 623 06-207, E-Mail: behr@dji.de (Datenbank); Dr. Jens Lipski, 089 623 06-230, E-Mail: lipski@dji.de (Forschungsstrang)


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