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Jürgen Barthelmes, Ekkehard Sander |
Vom Nutzen der Medien für 13- und 14jährige
Gewinn statt Gefährdung
"Weißt Du, was deine Eltern gerne hören, sehen und lesen, und worauf deine Freunde stehen?"
"Wissen Sie, was Ihr Kind so alles sieht, hört, liest?"
Diese beiden Fragen der DJI-Untersuchung zu den "Medienerfahrungen von Jugendlichen in Familie und Peer-group"
führten zu überraschenden Antworten, die gängige Vorurteile in Sachen Medien widerlegen.
Es gibt mehr Gemeinsames als Trennendes zwischen Eltern und Kindern in Sachen Medien.
Beide Generationen wissen mehr voneinander, als bisher angenommen. Statt Entfernung und Fremdheit der Generationen
gibt es mehr Gemeinsames. Die Medien regen die von uns befragten Jugendlichen und Eltern im besonderen Maße
dazu an, zu sich selbst sowie zur (Um-)Welt wieder mehr Stellung zu beziehen, sowie über sich selbst wieder
mehr nachzudenken.
In Familien wird viel über Medien geredet. Die 13- und 14jährigen sprechen oft mit ihren Eltern über
Filme und Musik; die Eltern werden dadurch zum Nachdenken und zur eigenen Stellungnahme angeregt.
Durch das Reden der heranwachsenden Kinder über Medien werden die Eltern immer mehr dazu angeregt, über
ihren eigenen Medienumgang nachzudenken. Bei den von uns befragten Eltern läßt sich zunehmend eine Aufweichung
der Medien-Erziehungskonzepte von konsequent zu inkonsequent und akzeptierend feststellen. Insgesamt gestehen sie
den eigenen Kindern mehr Freiheiten im Umgang mit den Medien zu. In ihren Herkunfstfamilien erfuhren die Eltern
selbst einen Medienumgang, der eher von "Strenge" und "Prinzipienhaftigkeit" geprägt war.
Die Eltern ermuntern ihre Kinder zu ihren Medienvorlieben; eine Mutter: "Sie soll zu den Sachen stehen, die
sie gerne mag, und sie auch anderen gegenüber vertreten".
Die Eltern sind das Vorbild im Umgang mit Medien. Wie Eltern mit Filmen, Serien, Musik und Büchern umgehen,
das schauen sich die Söhne und Töchter ab.
Die Eltern unterstützen und ermutigen ihre Kinder zu einem sinn- und maßvollen Medienumgang. Dies ist
unter anderem auch Voraussetzung dafür, daß die Jugendlichen heute von früh an einen eigen(sinnigen)
und eher selbstverständlichen Medienumgang entwickeln können. Nichtsdestoweniger gilt die Sorge der Eltern
nach wie vor "problematischen Medien-Inhalten" und deren möglichen Wirkungen auf ihre Kinder, wie
die Darstellung von Gewalt oder pornographischen Inhalten.
Medien-Stars waren für die Eltern Lebensbegleiter, denn sie standen für die "große Liebe"
in ihrer Jugend.
Die Mädchen und Jungen brauchen sich in ihren Familien mit ihren Lieblingsstars und ihrer Lieblingsmusik vor
ihren Eltern nicht zu verstecken. "Wie findest Du eigentlich das neue `Sex-Buch' von Madonna" fragt eine
13jährige ihre Mutter. Die Kinder fragen ihre Eltern nach ihrer Meinung, sie wollen wissen, was ihren Eltern
gefällt, sie wollen herauszufinden, was sie selbst mögen und wie sie dies ihren Eltern erklären
können.
In den Familien sind Filme und Stars, Geschichten und Dramen ein alltägliches Gesprächsthema - und zwar
für beide Generationen. Manchmal gibt es hier Überraschungen: "Was, das fandest Du gut?" sagt
ein 14jähriger Sohn, als seine Mutter gerade einen alten Schlager mitsingt. Die Medien erleichtern die Verständigung
zwischen den Generationen. Dieses Gespräch über einen Schlager ist auch ein Reden über sich selbst,
denn mittels Medien-Inhalten werden eigene Themen und Gefühle, Situationen und Emotionen in einer verschlüsselten
Form angesprochen. Eltern und Kinder teilen ihr Interesse an der aktuellen Jugendkultur. Gemeinsam sehen sie sich
Filme an, mitunter hören sie auch gemeinsam Musik.
Die Mädchen und Jungen lernen ihre Eltern auch über deren Medienvorlieben kennen.
Eine Mutter: "Wenn 'Sissi' im Fernsehen kommt, dann sag' ich zu ihr: Komm', das mußt du dir anschauen,
das ist die Jugend deiner Mutter". - Mit ihren Lieblingsfilmen und Oldies öffnen die Eltern ihren Kindern
den Blick für ihre eigene Jugendzeit. Ihre Erfahrungen, ihre damaligen Bilder von Liebe und ihre "großen
Gefühle" werden indirekt durch diese Filme und Lieder wieder lebendig. Gemeinsame Medienerlebnisse verstärken
die Gefühle der Zusammengehörigkeit und Vertrautheit in der Familie.
Die 13- und 14jährigen verwenden die meiste Zeit für die Schule und ihre Freunde und Freundinnen,
nicht für die Medien.
Jugendzeit ist nicht Medienzeit. An erster Stelle ihrer Wünsche steht, die Freunde und Freundinnen zu treffen
und möglichst lang mit ihnen zusammen zu sein. Die Medien sind schon noch da: Hausaufgaben werden mit Musikhören
"versüßt", und die Zeit, bevor man jemand trifft, reicht gerade noch, um zu Hause mal in eine
Jugendserie reinzuschauen. Vor allem in der Schule lernen die Mädchen und Jungen die "Leute kennen, die
bei mir alles ins Rollen gebracht haben". Freunde und Freundinnen zu haben ist das Wichtigste für Jugendliche
in der Pubertät, wichtiger als Medien. "Die beste Freundin" und "der beste Freund" stehen
an erster Stelle. Doch das Medienwissen ist nützlich, um Freunde und Freundinnen kennenzulernen.
Lieder, Stars, Filme - das sind Gesprächsthemen, an denen sich alle beteiligen können, ist etwas Gemeisames,
auf das sie immer zurückgreifen können. Medieninhalte bieten Möglichkeiten für alle, ein Gespräch
anzufangen oder jemanden kennenzulernen.
Gemeinsam Musik hören, dem Freund mal eine neue CD vorspielen, zusammen über Musik reden, CD's aussuchen,
ausleihen, kopieren -das alles gehört zu den täglichen Treffen dazu. Die Musik steht an erster Stelle:
"Welche Musik magst du?", diese Frage drückt ein Interesse an der anderen Person aus. Es charakterisiert
den Stil, mit dem Jugendliche untereinander ihr Interesse füreinander bekunden. Medienthemen eignen sich besonders
gut für ihre Neugier, "neue Leute" kennenzulernen. Medien-Themen dienen den 13- und 14jährigen
als "Gesprächs-Ouvertüren" und erleichtern den Zugang zu den Cliquen. Das Standardthema "Medien"
(Stars, Musik-Hits, Filme) dient in den Gruppen vor allem auch dazu, um mitreden zu können.
Für beide Geschlechter bieten die Filme, Lieder und Stars die Möglichkeit an, ihre Themen, Gefühle
und Probleme zur Sprache zu bringen, die allen vertraut ist und die auch "das Unsagbare" ausdrücken
kann.
Die auf Medien gerichtete Themen-Suche der 13- und 14jährigen ist geschlechtsspezifisch; so beziehen sich
die Medienvorlieben der Mädchen bei Spielfilmen vor allem auf die Themen "Beziehung" (Beziehungs-
und Liebesfilme) sowie auf "Bewegung" (Vorliebe für Tanz sowie Tanz-Filme). Bei den Jungen geht
es dagegen mehr um die Themen Wettkampf sowie um das Kennenlernen der eigenen Stärken und Schwächen (Vorlieben
für Action- und Abenteuer-Filme). Für beide Geschlechter gilt, daß sie die Medien als Spiegel,
als Anlaß und als Provokation für ihre eigenen Entwicklungsschritte verwenden. Insofern sind nach Aussagen
der Eltern die Medien für ihre Kinder "entwicklungsfördernd".
Die verschiedenen Stars stehen für die Mannigfaltigkeit, heute eine junge Frau, ein junger Mann zu sein.
Stars verfestigen und verflüssigen konventionelle Bilder von Frauen und Männern. Die Mädchen und
Jungen dieser Altersgruppe setzen sich intensiv mit diesen "Modellen" auseinander, um ihre eigenen "Vorbilder"
zu finden.
Die von uns befragten Mädchen und Jungen suchen in den Medien vor allem nach Frauen-und Männerbildern.
Diese Medienerfahrungen müssen sie mit ihren eigenen Vorstellungen und Erfahrungen zusammenbringen. In ihren
Lieblingsfilmen und in ihrer Lieblingsmusik sind Bilder und Gefühle enthalten, die sich auf ihre Zukunft als
junge Frau und als junger Mann beziehen. Die Jungen und Mädchen können sich in den Medien spiegeln: In
den Geschichten und Dramen sehen sie in den Stars Personen, die stellvertretend für sie selbst handeln und
fühlen. "Was wäre, wenn ich das bin". In den Stars sehen sie etwas von sich und ihrer Persönlichkeit,
sowohl in ihren "hellen" Hoffnungen auf die Zukunft als auch in ihren "dunklen" Ängsten
und Gefühlen der Verwirrung und Verzweiflung.
Freunde und Freundinnen suchen und finden, das heißt auch: Umgang mit verschiedenen Personen und deren
Vorlieben und Stile. Freundschaftsbeziehungen sind immer auch "Erfahrungen der Differenz". Bei den Medienerfahrungen
ist dies ähnlich: die Mannigfaltigkeit fasziniert. Vielfalt und Differenz auszhalten ist aber auch ein Ziel
sozialen Lernens.
Der Umgang mit Medien trägt sowohl in den Peer-groups als auch in den Familien zu sozialem Lernen bei und
fördert die pädagogische Zielsetzung der Empathie und Toleranz: Miteinander Reden und Streiten; gegenseitig
Toleranz zeigen; Kommpromisse finden; auf den anderen Rücksicht nehmen; Nachgeben-Können u.ä. Der
Medienumgang fördert bei den Jugendlichen den Prozeß der Selbstvergewissserung, der Eigenständigkeit
sowie der Bewußtwerdung. Er hilft ihnen bei der Abgrenzung gegenüber den Geschmacksvorlieben der Eltern
sowie bei ihrem Streben nach Ausdrucksmöglichkeiten für ihre Gefühle und Erfahrungen.
Jürgen Barthelmes, Ekkehard Sander
Längsschnittuntersuchung mit 22 Mädchen und Jungen vom 13. bis zum 18. Lebensjahr (Hauptschule, Realschule
Gymnasium). Dabei wurden die Jugendlichen und Eltern jeweils getrennt zu ihrem Umgang mit Medien in Familie und
Peer-group befragt. Die unterschiedlichen Ablösungsformen der Mädchen und Jungen in dieser Phase der
Neuorientierung stehen im Mittelpunkt der Untersuchung.
Die Ergebnisse der gesamten Untersuchung (vom 13. bis zum 18. Lebensjahr) werden in einem zweiten Band 1998 veröffentlicht.