Die Ergebnisse der ersten und zweiten Welle des Familiensurvey in West- und Ostdeutschland sind in der Reihe DJI-Familiensurvey des Verlags Leske und Budrich veröffentlicht worden.

Im folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse in den einzelnen Veröffentlichungen geboten.

Sinkende Heiratsziffern und Kinderzahlen gegenüber steigenden Scheidungszahlen und einer Zunahme von Einpersonenhaushalten haben zu der These geführt, daß Ehe und Familie als Lebensformen in die Krise geraten sind. Die amtliche Statistik als Lieferantin dieser Zahlen bezieht sich jedoch auf den Haushalt als wesentliche Einheit des familialen Zusammenlebens und blendet damit andere Familienformen aus. Diese verengte Interpretation führt tendenziell zu einem negativen Bild der Familie, welches nicht der Realität entspricht. Das Deutsche Jugendinstitut hat 1988 im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine Repräsentativumfrage bei 10.000 18-55jährigen Bewohnern der alten Bundesländer durchgeführt, um Informationen über die Familie zur Verfügung zu stellen.
Die wichtigsten Ergebnisse...

...Das Familienleben überschreitet Haushaltsgrenzen [4]...Die Ehe ist die häufigste Lebensform der 25- bis 55jährigen[5] ...Die meisten Kinder leben bei ihren Eltern[6] ...Mehr und frühere Partnerschaften, weniger und spätere Eheschließungen[7] ...Die meisten wünschen sich zwei Kinder - nur wenige haben sie[8] ...Familie und Kinder haben weiterhin einen hohen Stellenwert, der Wunsch nach Selbstentfaltung nimmt zu[9] ...Region prägt stärker als Schichtzugehörigkeit[10] ...Alleinerziehende Frauen mit Klein- und Vorschulkindern sind ökonomisch benachteiligt.[11] ...Die Wohnversorgung von Familien ist im allgemeinen gut, aber mindestens 16% leben in beengten Verhältnissen[12] ...Frauen sind im Beruf weiterhin benachteiligt.[13] ...Im Haushalt nichts Neues? Noch überwiegt die traditionelle Arbeitsteilung in der Ehe[14]

...Das Familienleben überschreitet Haushaltsgrenzen

Zu zweit oder alleine im Haushalt zu leben heißt nicht unbedingt, allein zu sein. Der Trend zu Einpersonenhaushalten oder Kleinfamilien bedeutet nicht die Auflösung der Familie, sondern daß bei geänderten Wohnformen weiterhin ein intensives Familienleben gepflegt wird.

Der Anteil der Einpersonenhaushalte liegt bei den 18- bis 55jährigen bei 11 %, aber nur in 2 % aller Haushalte wohnen einzelne Personen, die nicht am gleichen Ort Eltern, Geschwister oder Großeltern wohnen haben. Drei- und Mehrgenerationenfamilien in einem Haushalt sind zwar selten (4% aller Haushalte), doch häufig wohnen die verschiedenen Generationen einer Familie nahe zusammen. Cirka 60 % aller Befragten wohnen im selben Ortsteil wie ihre Eltern oder Schwiegereltern, 31 % aller Befragten haben im selben Ortsteil Großeltern. Nahe zusammen zu wohnen bedeutet dabei auch in den meisten Fällen ein reges soziales Zusammenleben.

...Die Ehe ist die häufigste Lebensform der 25- bis 55jährigen

Cirka 60 % der 25- bis 34jährigen und cirka 80% der 35- bis 55jährigen waren zum Befragungszeitraum verheiratet und lebten mit dem Ehepartner zusammen. Jeder zehnte 25- bis 34jährige lebte in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, ebenso viele lebten alleine, hatten aber einen festen Partner; 14% lebten alleine und hatten keinen festen Partner. Bei den 35- bis 55jährigen sind es jeweils cirka 5%, die in nichtehelichen Lebensgemeinschaften bzw. nicht gemeinsam mit ihrem Partner leben, und 10%, die keinen Partner haben.

...Die meisten Kinder leben bei ihren Eltern

80 % der Kinder in den Familien der Befragten lebten im Haushalt von verheiratet Zusammenlebenden. Nicht immer sind dies die leiblichen Eltern, 5 % der Kinder hatten ein anderes Elternteil bzw. waren Adoptivkinder; 75% der Kinder waren gemeinsame Kinder des Paares. Bei Geschiedenen, Getrenntlebenden und Unverheirateten, die mit einem nichtehelichen Partner zusammenleben, beträgt der Anteil der gemeinsamen Kinder jeweils cirka 70 %.

...Mehr und frühere Partnerschaften, weniger und spätere Eheschließungen

Lag das Durchschnittsalter bei Beginn der ersten länger andauernden Partnerschaft (mindestens 1 Jahr) bei den älteren (1934-36 geborenen) Befragten noch bei 21 Jahren, so ist es bei den jüngeren (1959-61 geborenen) Befragten auf 19 Jahre gesunken. Der Anteil derjenigen, die bis zum Alter von 30 Jahren mehr als eine Partnerbeziehung hatten, verdreifachte sich in dieser Zeit (von 12 % auf 38 %). Mit dieser Entwicklung geht im jungen Erwachsenenalter eine abnehmende Heiratsneigung bzw. der Aufschub der Heirat einher. Das durchschnittliche Heiratsalter stieg um fast drei Jahre von 23.7 auf 26.5 Jahre. Sowohl Männer als auch Frauen zögern eine Heirat hinaus. Der Aufschub bleibt nicht auf die Gruppe der besser Ausgebildeten, die diesen Trend initiierten, begrenzt, sondern wird auch von den Befragten mit Hauptschulabschluß, hier insbesondere von den Männern, mitgetragen. Die häufig als Ursache für den Aufschub der Familiengründung benannte längere Ausbildungsphase kann also nicht allein verantwortlich gemacht werden. Auch die Zeitspanne zwischen dem Beginn des Berufslebens und der Heirat vergrößert sich.

...Die meisten wünschen sich zwei Kinder - nur wenige haben sie

Der Kinderwunsch ist nach wie vor vorhanden, doch bleibt die realisierte Kinderzahl meist hinter dem Wunsch zurück. Sowohl die älteren wie auch die jüngeren Befragten wünschen sich mehrheitlich zwei Kinder. Die Kluft zwischen Wunsch und Realisierung scheint sich zu vergrößern. Erste Kinder werden später geboren und weitere Geburten werden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben bzw. gar nicht mehr verwirklicht: Von den 30- bis 34jährigen wollen zwar nur 7 % kein Kind, 31 % haben jedoch noch keines. 56 % möchten zwei Kinder, was aber erst 26 % realisiert haben. Ob sie das zweite Kind bekommen werden, darüber ist jedoch Skepsis angebracht, denn auch bei den älteren Befragten, bei denen die Fertilitätsphase als abgeschlossen gelten kann, ist die Realisierung stets hinter dem Wunsch zurückgeblieben. Diese Diskrepanz ist insbesondere bei Frauen mit Abitur sehr hoch.

...Familie und Kinder haben weiterhin einen hohen Stellenwert, der Wunsch nach Selbstentfaltung nimmt zu

Während sich die hohe Wertschätzung der Familie kaum verändert hat, haben sich andere Werthaltungen stark verändert. Die Zustimmung zu Werten wie Sicherheit, Ordnung und gesundes Wirtschaftswachstum ist im Vergleich zu Werten wie Selbstentfaltung, Mitbestimmung und politische Partizipation dramatisch zurückgegangen. Die Anhängerschaft der ersten Wertegruppe hat sich im Vergleich von den Älteren zu den Jüngeren von 16 % auf 4 % verringert.

...Region prägt stärker als Schichtzugehörigkeit

Die Unterschiede zwischen Stadt und Land, südlichen und nördlichen, protestantisch und katholisch geprägten Regionen sind insbesondere bei den Lebensformen, Geburtenziffern und Scheidungsraten wesentlich größer als die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten. Allerdings läßt sich die Bedeutung der schichtenspezifischen "Vererbung von Bildung", wenn man die Durchschnittswerte vom Regioneneinfluß bereinigt, immer noch nachweisen.

...Alleinerziehende Frauen mit Klein- und Vorschulkindern sind ökonomisch benachteiligt.

77 % der alleinerziehenden (ledigen) Frauen mit Klein- und Vorschulkindern liegen mit ihrem Einkommen unter der Sozialhilfegrenze.

...Die Wohnversorgung von Familien ist im allgemeinen gut, aber mindestens 16% leben in beengten Verhältnissen

Die durchschnittliche Wohnversorgung ist mit 41 qm je Person gut, gemessen an den "Kölner Empfehlungen", die eine Mindestwohnfläche von ca. 21 qm pro Person fordert. Allerdings müssen sich 16 % aller Familien mit Kindern mit weniger als 20 qm Wohnraum pro Person begnügen. 2 % aller Haushalte, in denen mindestens ein Kind unter 16 lebt, haben kein Kinderzimmer.

...Frauen sind im Beruf weiterhin benachteiligt.

Während sich im Bereich der Bildung die Unterschiede zwischen den Geschlechtern langsam auflösen, sind bei der Erwerbstätigkeit, bei der erreichten Berufsposition und beim Einkommen die Frauen weiterhin benachteiligt. Trotzdem fühlen Frauen sich an ihrem Arbeitsplatz etwa so selbständig wie Männer, obwohl sie überproportional häufig Tätigkeiten ausüben, die wenig Entscheidungsfreiheit lassen.

...Im Haushalt nichts Neues? Noch überwiegt die traditionelle Arbeitsteilung in der Ehe

Die traditionelle Arbeitsteilung im Haushalt zwischen Mann und Frau wird noch von 60 % der verheirateten und unverheirateten Paare praktiziert. Knapp 20 % der Befragten üben die im Haushalt anfallende Arbeit gemeinsam oder abwechselnd aus, beim verbleibenden Rest gibt es Ansätze zum Rollentausch. Zwei Drittel der Männer arbeiten zwischen 0 und 10 Stunden im Haushalt, demgegenüber wenden nur 14 % der Frauen so wenig Zeit für Hausarbeit auf.

Veränderungen in Richtung auf eine gleiche Verteilung der Hausarbeit gehen von den jüngeren Paaren aus, vor allem von den nichtehelich zusammenlebenden Paaren. Bei fast 60 % der jung Verheirateten (bis 25 Jahre) herrscht das traditionelle Muster vor, bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften in diesem Alter dagegen nur bei 38 %. Auch auf die höheren Altersgruppen trifft es - etwas abgeschwächt - zu, daß die Lebensform der Ehe die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung begünstigt. Die Vorerfahrung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft wirkt sich auch positiv auf den Alltag der Ehe aus; haben Paare vor der Heirat bereits zusammengewohnt, so sind die Chancen für eine gemeinsame Bewältigung der Hausarbeit größer, als wenn das Paar vorher nicht zusammengewohnt hat. Wenn ein Kind kommt, verstärkt dies in vielen Ehegemeinschaften die Tendenz zur traditionellen Arbeitsteilung im Haushalt; in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft wirkt sich die Elternschaft nicht so stark aus wie in der Ehe.

Eigeninteresse oder Solidarität: Die moderne MehrgenerationenfamilieWalter Bien (Hrsg.) Leske + Budrich, Opladen, 1994
Bei den im Auftrag des Bundesfamilienministeriums 1988 durchgeführten Befragungen von ca. 12.000 Personen in Ost- und West-Deutschland zeigte sich, daß das Familienleben einen weitaus höheren als den erwarteten Anteil im Alltag der Befragten einnimmt. Der Großteil der wechselseitigen Beziehungen im engeren sozialen Netz findet zwischen den Linienverwandten (Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel) statt. Nicht Mehrgenerationenhaushalte, aber Mehrgenerationenkonstellationen spielen dabei die tragende Rolle: cirka ein Drittel aller 18 bis 55jährigen lebt in der Nähe von Linienverwandten und pflegt mit ihnen ein dichtes Kommunikations- und Austauschnetz. An dieser speziellen Teilgruppe der Mehrgenerationenfamilien wurde 1990 eine Zusatzuntersuchung durchgeführt. Es wurden dabei aus 479 Familien insgesamt 1285 Personen aus drei Generationen (18- bis 32jährige sowie ihre Eltern-, Schwiegereltern- und Großeltern) zu ihren Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern befragt.
Die wichtigsten Ergebnisse...
...Hohe Familienintegration[15] ...Der Partner bzw. die Partnerin eines Familienmitglieds nimmt im familialen Netz eine herausragende Position ein[16] ...Die Beziehungen zu den Eltern sind kontinuierlich und stabil[17] ...Kommunikation, Dienstleistungen und finanzielle Unterstützung in Drei-Generationen-Familien[18] ...Familiale Netzwerke und ihre Leistungen werden in Zukunft eine stärkere Bedeutung erfahren[19]

...Hohe Familienintegration

Wie ausgeprägt die Beziehungen der Befragten mit ihren Linienverwandten und Geschwistern sind, gilt als Maß für die Familienintegration. In der repräsentativen Stichprobe des Familiensurveys (1988) war die Familienintegration bei mehr als der Hälfte der Befragten (ca. 63 %) moderat bis hoch ausgeprägt. Für die Personen, die in der Mehrgenerationenerhebung (1990) befragt wurden, liegt dieser Anteil bei nahe 100%.

Die Analysen zeigen, daß durch eine hohe Familienintegration gesundheitliche Probleme besser aufgefangen und Streßsituationen günstiger bewältigt werden können. Eine hohe Familienintegration führt aber keinesfalls dazu, daß weniger Außenkontakte gepflegt werden. Im Gegenteil verfügen Personen mit einer schwachen Familienintegration über weniger Außenkontakte als hochintegrierte Personen.

Der größte Teil von Hilfeleistungen, des finanziellen Transfers und der wechselseitigen Unterstützung wird innerhalb von Familienkontexten erbracht.

...Der Partner bzw. die Partnerin eines Familienmitglieds nimmt im familialen Netz eine herausragende Position ein

Partner und Partnerinnen werden umso mehr als Familienmitglieder wahrgenommen, je länger die Partnerschaft dauert und je mehr die Beziehung institutionalisiert ist, sowie in Abhängigkeit davon, ob bereits Kinder vorhanden sind. Junge Männer und Frauen zeigen aber im Hinblick auf ihre Partnerbeziehungen bemerkenswerte Unterschiede: Während 61 % der Männer sich im z.B. Krankheitsfall an ihre Partnerin wenden würden, sind dies entsprechend von den Frauen nur 46 %. An diesem sowie auch an anderen Befunden wurde deutlich, daß das Netzwerkverhalten von Männern eher partnerinnenzentriert ist, während Frauen ebenso wichtige und intime Beziehungen zu anderen Personen ihres Netzwerks pflegen.

Im Vergleich zu den Beziehungen zu den eigenen Geschwistern sowie zu Freunden erscheinen die Beziehungen zu den Geschwistern des Partners relativ unbedeutend zu sein. Die gemeinsamen Aktivitäten mit Geschwistern sind stärker familienorientiert und haben manchmal ritualisierten Charakter. Als Ansprechpartner in Notsituationen sowie in persönlichen Belangen kommen eher wichtige Freunde in Frage.

...Die Beziehungen zu den Eltern sind kontinuierlich und stabil

Die Beziehungen zu den Eltern unterliegen allerdings Schwankungen in Abhängigkeit von familienzyklusspezifischen Veränderungen. Mutter-Tocher-Beziehungen erwiesen sich erwartungsgemäß als besonders intensiv.

Die Geburt von Kindern fördert die Familienbeziehungen, insbesondere die Unterstützungsleistungen für die jungen Paare von Seiten ihrer (Schwieger-)Eltern: Hilfe im Haushalt, Betreuung von Kindern, Darlehen und laufende finanzielle Unterstützung.

Junge Eltern fühlen sich von ihren eigenen Eltern weniger häufig überfordert als junge Erwachsene gleichen Alters ohne eigene Kinder. Offenbar wächst mit den Erfahrungen mit eigenen kleinen Kindern und mit dem Unterstützungsbedarf auch die Toleranz gegenüber einer, vielleicht mitunter lästigen, Einmischung seitens der eigenen Eltern.

Erwartungsgemäß geht mit einer wachsenden Wohnentfernung zwischen den Generationen einer Familie die Häufigkeit von Dienstleistungen zurück, und zwar vor allem dann, wenn diese eine persönliche Anwesenheit erfordern.

Eine bedeutsame Ausnahme des Entfernungseinflusses zeigt sich bei einer speziellen Dienstleistung, nämlich der Inanspruchnahme von Hilfe bei der Pflege behinderter, gebrechlicher oder chronisch kranker Familienmitglieder. Hier spielt die Entfernung keine Rolle, die Dringlichkeit und existentielle Bedeutung dieses Dienstes erweist sich als unabhängig von Aufwandserwägungen.

...Kommunikation, Dienstleistungen und finanzielle Unterstützung in Drei-Generationen-Familien

Die These einer schrumpfenden Welt der Alten innerhalb von Familien ist falsch. Die soziale Integration der Großelterngeneration in das Familiennetz zeigt sich allerdings deutlicher in der Selbstwahrnehmung der Großeltern als in der Fremdwahrnehmung durch die anderen Generationen.

Bei der Integration der Generationen in ein familiäres „Tauschnetz" werden in einzelnen Bereichen deutliche Abstufungen sichtbar. Die Jungen sind in der Tendenz gesuchte, die Alten suchende Kommunikationspartner. Die mittlere Generation, also die Eltern der jungen Paare, hat generationenaufwärts und -abwärts mehr Präsenz in kommunikativen Kontakten als die anderen Generationen. Gleichwohl sind die jungen Erwachsenen im Generationenvergleich die aktivsten Kommunikatoren, weil sie den höchsten Anteil an außerfamilialen Kontakten haben.

Trotz der offenbar vorhandenen Vertrauensbasis der verschiedenen Generationen kommt es zwischen ihnen zu Spannungen und Reibungen. Sie halten sich jedoch in bescheidenen Grenzen. Insbesondere junge Erwachsene haben oft das Gefühl, von anderen überfordert oder belästigt zu werden, in erster Linie von ihren eigenen Eltern.

Die Großeltern erweisen sich als Nettoempfänger von Dienstleistungen der jüngeren Generationen.

In der Wahrnehmung der Leistungsströme untereinander sind sich die Generationen weitgehend einig. Eine auffällige Uneinigkeit herrscht aber über die Quantitäten: Die Empfänger von Unterstützungsleistungen schätzen diese konstant geringer ein als die Geber.

Die Bilanz der Dienstleistungen zwischen Eltern und Kindern sind weitgehend ausgeglichen. Eine Ausnahme ist die Kinderbetreuung. So geben 30 % der jungen Paare an, daß ihre Eltern in bestimmten Situationen bei der Kinderbetreuung Hilfe leisten, aber 40 % der Elterngeneration wollen schon einmal bei der Kinderbetreuung Hilfe geleistet haben. In die entgegengesetzte Richtung laufen Hilfeleistungen, die im Bereich der Haushaltshilfe liegen. Hier geben 31 % der jungen Paare an, daß sie den Eltern im Haushalt helfen. Dies wird nur durch 20 % der Elterngeneration bestätigt. Im Krankheitsfalle würden sich 55 % der Kinder an ihre Eltern wenden, um versorgt zu werden. Auch 50 % der Eltern geben an, sie würden sich an ihre Kinder wenden, um von diesen versorgt zu werden.

Ein anderes Bild ergibt sich für die Situation der Großelterngeneration (die Großeltern der jungen Paare). Sie ist in der Regel Nutznießer der „Tauschprozesse". So geben 63 % der Elterngeneration an, ihre eigenen Eltern im Krankheitsfalle bereits einmal versorgt zu haben, wovon allerdings nur 38 % der Großeltern berichten können. Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Hilfe für die Großeltern bei Behördengängen: 28 % der Eltern- und 30 % der Großelterngeneration berichten davon.

Der Kommunikationsaustausch zwischen den jungen Paaren und der Elterngeneration ist erheblich intensiver und dichter, als zwischen der Eltern- und der Großelterngeneration. So berichten beispielsweise 70 % der jungen Paare, daß sie mit ihren Eltern über familiäre Angelegenheiten reden, was auch 67 % der Eltern bestätigen. Genauso verhält es sich bei den Gesprächen über persönlich wichtige Angelegenheiten. Hier berichten 55 % der Eltern, daß mit ihnen über persönlich Wichtiges gesprochen wird. Auch 45 % der jungen Paare nennen ihre Eltern als Gesprächspartner bei persönlich wichtigen Angelegenheiten. Ganz anders ist das Verhältnis der Elterngeneration zu den Großeltern. 77 % der Großeltern geben an, daß sie mit ihren Kindern über familiäre Angelegenheiten reden, was aber nur 45 % der Elterngeneration bestätigen. 66 % der Großeltern berichten, daß sie mit ihren Kindern über persönlich Wichtiges sprechen, wohingegen nur 36 % der Elterngeneration dies bestätigen.

Diese Differenzen geben Anlaß zu der Vermutung, daß die Beziehungen zwischen den Generationen von diesen selbst als unausgewogen betrachtet werden könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die jüngste Generation hält zu 52 % die Dienstleistungsbilanz zwischen den Generationen für ausgewogen, und den Kommunikationsbereich sogar zu 82 %. Von der Elterngeneration finden 47 % den Dienstleistungssektor, und 49% den Kommunikationsbereich ausgewogen. Von den Großeltern erleben ca. 72 % im Dienstleistungsbereich ausgewogene Verhältnisse, und sogar 90 % im Kommunikationsbereich.

Für die untersuchten Mehrgenerationenfamilien ergibt sich daher kein Anlaß zu der Vermutung, daß sich eine verhältnismäßig hohe Zahl von Individuen vor allem der Großelterngeneration einsam oder verlassen fühlen. Vielmehr erwecken die Befragungsergebnisse den Eindruck, daß die Familienmitglieder sich gegenseitig unterstützen, um Wohlbefinden und Zufriedenheit im Rahmen des Machbaren zu erhalten - selbst dann, wenn die eigene Leistungsfähigkeit nicht mehr oder noch nicht ausreicht, den gewohnten Status quo zu erhalten.

...Familiale Netzwerke und ihre Leistungen werden in Zukunft eine stärkere Bedeutung erfahren

Trotz Pflegeversicherung und professionellen Dienstleistern wird die Familie zu den wichtigsten Ressourcen zählen, wenn es um die emotionale und praktische Betreuung und Pflege alter Menschen geht. Es gibt in Deutschland derzeit ca. 3,6 Mio. Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Das sind ca. 4,7 % der Gesamtbevölkerung. 1,5 Mio. davon sind dabei regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen, wovon 1,1 Mio. in privaten Haushalten betreut werden.

Auch in der Mehrgenerationenstudie des DJI zeigte sich, daß die Hilfs- und Pflegebedürftigen mit zunehmenden Alter (über 65 Jahre) einen deutlich höheren Frauenanteil aufweisen; dies ist eine Folge der höheren Lebenserwartung der Frauen. Gleichzeitig erkennt man aber auch bei den Pflegenden eine starke Überrepräsentation der Frauen (87 % der Pflegenden sind weiblichen Geschlechts). Hauptsächlich Frauen zwischen 40 und 70 Jahren verrichten die Pflegearbeit. Dabei sind es vor allen die verheirateten Frauen (76,8 %), die die Pflege alter Menschen übernehmen. Der Anteil der Ledigen bei den Pflegenden beträgt ca. 11 %. Besonders auffällig bei den Ledigen ist, daß hier weder ein Alterseffekt noch ein Geschlechtseffekt auftritt. Ledige Männer pflegen genau so häufig wie ledige Frauen; sind die Männer verheiratet, delegieren sie diese Arbeit an ihre Frau.

98 % der nicht professionellen Pflegeleistungen werden innerhalb der Verwandtschaft erbracht. Der Leistungstransfer zwischen den Generationen wird dominiert durch die Pflegeleistungen von der Eltern- für die Großelterngeneration (67,5 % aller Pflegebeziehungen).

Singles - Teil der Familie oder eine Alternative?

Dr. Donald Bender, Dr. Walter Bien, DJI München, Februar 1996

Zusammenfassung aus der Studie "Alleinlebende" im Rahmen des DJI-Familiensurveys, finanziert durch das Bundesfamilienministerium. Literaturnachweis: Hans Bertram (Hrsg.): Das Individuum und seine Familie. Lebensformen, Familienbeziehungen und Lebensereignisse im Erwachsenenalter. DJI:Familiensurvey 4. Leske+Budrich, Opladen 1995
Die wichtigsten Ergebnisse...

...Vorurteile gegen Singles[20] ...Einbindung von Alleinlebenden in familiale Netze[21] ...Die Ehe wird in Mehrpersonenhaushalten deutlich positiver eingeschätzt als bei den Singles[22]

Veränderungen der Familienstatistiken im 20. Jahrhundert:

...Die Anteile der Verheirateten an allen Frauen und Männern sind konstant[23] ...Vom Geburtenüberschuß zum Bevölkerungsrückgang[24]

 

...Vorurteile gegen Singles

In der veröffentlichten Meinung findet man immer wieder Hinweise auf zwei angebliche Tatsachen:

  • die Zahl der Singles nehme ständig zu.
  • diese Zunahme bzw. das Single-Leben überhaupt sei eine Bedrohung für die Solidargemeinschaft und insbesondere für die Familie.

Begründet werden diese Aussagen mit der Zunahme der Einpersonenhaushalte. In Westdeutschland beträgt der Anteil der Alleinlebenden 12%, in Ostdeutschland 8%.

Heißt alleine zu leben nun wirklich, sich so zu verhalten, wie es einem typischen Single zugeschrieben wird?

Von allen in Einpersonenhaushalten lebenden Personen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren haben 47% im Westen und 44% in den Neuen Bundesländern keinen Partner oder keine Kinder. Die andere Hälfte der vermeintlichen Singles hat einen Partner bzw. eine Partnerin und /oder Kinder, die allerdings nicht in demselben Haushalt leben. Etwa 15 % der statistisch als Einpersonenhaushalte erfaßten Personen leben unter einem Dach mit Familienangehörigen, sind also in Wirklichkeit Teile von Mehrgenerationen-Konstellationen. Erweitert man den Bereich, in der Familienangehörige wohnen, auf die unmittelbare Nachbarschaft, so leben bereits 30% (West) bzw. 40% (Ost) der sogenannten Singles in Mehrgenerationenverhältnissen. Berücksichtigt man zusätzlich die nahen Verwandten, die im Umkreis von bis zu einer Autostunde leben, so ergibt sich: nur bei 3% der Einpersonenhaushalte (im Westen) und bei 1% derjenigen in Ostdeutschland kann man sicher sein, daß ihre Bewohner wirklich alleine leben, weil sie keine Verwandten in täglich erreichbarer Wohnnähe haben, die Familienaufgaben übernehmen.

...Einbindung von Alleinlebenden in familiale Netze

Die durchschnittliche Wohnentfernung der „Singles" zu relevanten Familienmitgliedern ist nur wenig größer als bei Mehrpersonenhaushalten, die Kommunikationshäufigkeit ist im Durchschnitt nur wenig geringer. Ähnliches gilt für die einzelnen Bereiche der Familienbeziehungen. Singles haben ebenso viele Kommunikationspartner wie die Befragten in Mehrpersonenhaushalten und geben bei der Frage nach den Personen, mit denen sie entweder emotionale Zuneigung oder auch nur Freizeitaktivitäten teilen, im Durchschnitt nur eine Person weniger an als die Befragten in Mehrgenerationenhaushalten.

Deutlicher wird der Unterschied, wenn man untersucht, wer für die alltäglichen Tätigkeiten und Bedürfnisse keine einzige Kontaktperson angibt. Diese Anteile sind in den Einpersonenhaushalten bis zu sechsmal so groß wie in den Mehrpersonenhaushalten: bis zu 25 % der in Einpersonenhalten Lebenden geben Defizite in den angesprochen Bereichen an gegenüber bis zu 4% der Mehrpersonenhaushalte.

...Die Ehe wird in Mehrpersonenhaushalten deutlich positiver eingeschätzt als bei den Singles

Die volle Zustimmung zu den Vorgaben „Ehe gibt Sicherheit und Geborgenheit" und „Liebe bedeutet Heirat" war in den Mehrpersonenhaushalten ungefähr doppelt so hoch wie in Einpersonenhaushalten. Auch bei den Aussagen „Ehe bedeutet gesellschaftliche Anerkennung" „ein Zuhause für die Kinder" sowie „gegenseitige Verpflichtung" war die Zustimmung der Angehörigen von Mehrpersonenhaushalten deutlich höher als bei den Einpersonenhaushalten. In Einpersonenhaushalten dagegen waren die Einschätzungen „Ehe bedeutet Streit und Ärger" „Ehe bedeutet Verlust der Freiheit" (das sagen mehr Männer als Frauen) deutlich häufiger. Für die Einstellungen zu Kindern gilt, daß in Mehrpersonenhaushalten den positiven Einschätzungen etwas häufiger zugestimmt wird als in Einpersonenhaushalten; bei negativen Einschätzungen ist es umgekehrt. Die Unterschiede sind aber gering. Die Gruppe der Singles mit stark abweichenden Einschätzungen von Familie, Ehe und Kinder umfaßt cirka 3% aller 18- bis 55jährigen Befragten.

Fazit: ca. Dreiviertel aller in Einpersonenhaushalten lebenden und deshalb als „Singles" bezeichneten Personen leben keine Alternative zur Familie, sondern führen ein intensives Familienleben, das sich nur im Wohnverhalten von den in Familienhaushalten lebenden Personen unterscheidet.

Veränderungen der Familienstatistiken im 20. Jahrhundert

...Die Anteile der Verheirateten an allen Frauen und Männern sind konstant

Die Verläufe der Familienstatistiken im 20. Jahrhundert zeichnen sich eher durch Kontinuität als durch abrupte Veränderungen aus. Ein Beispiel für die Konstanz der Indikatoren sind die Anteile der Verheirateten an allen Frauen und Männern (in Abb. 1 für die Altersgruppe 40 bis 44).

Der Anteil ist bei den Frauen 1994 fast genau so hoch wie 1890. Die Verschiebung bei den Männern ist mit dem Frauenüberschuß erklärbar, der durch Krieg und Arbeitsunfälle verursacht wurde. In den letzten Jahren gibt es jedoch einen Männerüberschuß. Die Variation zwischen 87% und 77% ist dabei weniger auffällig als die hohe untere Grenze von 75%, die bisher bei beiden Geschlechtern trotz Kriegseinflüsse, Notzeiten, Scheidungsboom und Modernisierung nicht unterschritten wurde. Wie es weitergeht, ist aus dem Kurvenverlauf nicht vorhersagbar.

Die Zahl der Eheschließungen und Scheidungen je 10000 Einwohner pro Jahr ohne die besondere Situation in den neuen Bundesländern ab 1990 zeigt eine hohe Stabilität, die dafür spricht, daß auch der Verheiratetenanteil weiterhin stabil bleiben wird.


Nach dem Gebietsstand zum jeweiligen Zeitpunkt; ab 1990 statt DDR: neue Länder; statt BRD: früheres Bundesgebiet. Quellen: Statistisches Bundesamt
 
...Vom Geburtenüberschuß zum Bevölkerungsrückgang Bei den Geburtenzahlen hat in den letzten 50 Jahren tatsächlich eine bemerkenswerte Entwicklung stattgefunden. Der Geburtenüberschuß in der Mitte des Jahrhunderts ist im Westen zu einem „Nullwachstum" abgesunken - der Anteil der Geburten entspricht dem der Sterbefälle -, im Osten ist sogar ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen.


Nach dem Gebietsstand zum jeweiligen Zeitpunkt; Quelle: Statistisches Bundesamt
 
Ein Grund für die Abnahme der Geburten ist das höhere Alter der Mütter bei der Erstgeburt. Dies gilt sowohl in den alten wie in den neuen Bundesländern (bei ehelich geborenen Kindern). Je später das erste Kind geboren wird, desto unwahrscheinlicher sind, allein aus biologischen Gründen, spätere Geschwister, und je weiter die Geburt des ersten Kindes aufgeschoben wird, desto wahrscheinlicher werden Probleme bei der Realisierung des Kinderwunsches. Außerdem bedeuten größere Generationenabstände allein schon weniger geborene Kinder: in einem bestimmten Intervall (z.B. 100 Jahre), können z.B. beim Durchschnittsalter 25 der Mütter bei der ersten Geburt vier Generationen Kinder auf die Welt bringen, beim Durchschnittsalter von 33,3 Jahren aber nur drei Generationen.


Quelle: Statistisches Bundesamt; FS 1, Reihe 1 Gebiet und Bevölkerung